Forschungszentrum – Reparaturwerkstatt – Gewebefarm. — Das Ludwig Boltzmann Institut für Experimentelle und Klinische Traumatologie

Fr, 22.11.2013 - 05:01 — Heinz Redl

Icon Medizin Heinz RedlMit dem Ziel die diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen in Unfallchirurgie und Intensivmedizin zu verbessern, wurde 1980 das Ludwig Boltzmann Institut für Experimentelle und Klinische Traumatologie gegründet. Bahnbrechende Innovationen im Bereich der regenerativen Medizin und der Behandlung von Schock und Sepsis und deren erfolgreiche Anwendung an Patienten haben der Institution weltweite Anerkennung gebracht. Heinz Redl ist seit 15 Jahren Leiter dieses Instituts, das Grundlagenforschung mit angewandter Forschung und translationaler Medizin verknüpft.

Die Grundlagen für derartige Heilerfolge stammen aus der traumatologischen Forschung, der „Wissenschaft von Verletzungen und Wunden sowie deren Entstehung und Therapie“. In diesem, bei uns seit dem Beginn der 1970er Jahre etablierten Gebiet leistet Österreich weltweite Pionierarbeit, liefert bahnbrechende Entwicklungen und beispielgebende Resultate.

Altgriechische Traumatologie: Achilleus bandagiert den Arm seines verletzten FreundesAbbildung 1. Altgriechische Traumatologie: Achilleus bandagiert den Arm seines verletzten Freundes Patroklos (Vasenmalerei 5 Jh AC)

40 Jahre Traumaforschung in Österreich

Entsprechend der für sie im Gesetz festgelegten Verpflichtung, die ständige Verbesserung der Behandlung von Patienten zu gewährleisten, hat die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA) bereits 1973 ein Forschungsinstitut für Traumatologie eingerichtet, das zusammen mit dem 1980 gegründeten Ludwig Boltzmann Institut für experimentelle und klinische Traumatologie (LBI Trauma) das Forschungszentrum für Traumatologie bildet und im Wiener Unfallkrankenhaus Lorenz Böhler angesiedelt ist. Im Jahr 1998 wurde zur Unterstützung die non-profit Organisation Trauma Care Consult eingegliedert.

Eine Aussenstelle wurde im Jahr 2003 in Linz errichtet, die in Kooperation mit der Blutbank des oberösterreichischen Roten Kreuz betrieben wird und sich der Gewinnung und Erforschung von humanen, adulten Stammzellen widmet.

Das LBI Trauma: „vom Labortisch zum Krankenbett“

Das Ziel der Arbeiten am LBI Trauma ist es die diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen in Unfallchirurgie und Intensivmedizin zu verbessern. Dies erfolgt einerseits durch eigene Forschungsprojekte im Bereich der Geweberegeneration und Polytrauma/Schock/Sepsis, aber auch durch Evaluation und praktische Anwendung internationaler Forschungsergebnisse.

Forschungsmaxime ist dabei die Verbindung von experimenteller Forschung und klinischer Anwendung „vom Labortisch zum Krankenbett“- die sogenannte translationale Forschung. Durch eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit präklinischer und klinischer Experten-Teams gehen gesicherte Ergebnisse aus der Grundlagenforschung rasch und direkt in die Anwendung über und kommen speziell Unfall-Patienten zugute.

In diesem Sinne „versorgt“ das LBI Trauma die 7 Unfallkrankenhäuser und 4 Rehabilitätszentren der AUVA mit den Ergebnissen seiner Forschung und Entwicklungen (Abbildung 2).

 Die 7 Unfallkrankenhäusern und 4 Rehabiltationszentren der AUVAAbbildung 2. Forschung für rund 4,7 Millionen Versicherte. Neueste medizinische Kenntnisse und Methoden werden in den 7 Unfallkrankenhäusern und 4 Rehabiltationszentren der AUVA zur Behandlung von jährlich rund 375 000 Verletzten eingesetzt.

Das Team des LBI besteht zur Zeit aus rund 80 Personen - aus Chemikern, Biochemikern, Ärzten, Tierärzten, Physikern, Medizin- und Elektrotechnikern. Auf Grund dieser multidisziplinären Zusammensetzung ist es möglich ein sehr großes Spektrum angewandter Forschung abzudecken.

Das LBI Trauma ist in fächerübergreifenden Kooperationen in vielen Gebieten der Humanmedizin engagiert und an zahlreichen österreichischen und europäischen Forschungsprojekten beteiligt (u.a. GENAU und EU-Projekte Angioscaff, BIODESIGN)

Eine Kooperation mit der Medizinischen Universität Wien, der Bernhard Gottlieb Universitätszahnklinik und dem Oberösterreichischen Roten Kreuz hat 2006 zur Gründung des österreichischen Forschungsclusters für Geweberegeneration geführt, in welchem das LBI die zentrale Rolle spielt. Dieser Cluster führt in einer gemeinsamen Forschungsstruktur das interdisziplinäre Forscherteam des LBI und Spezialisten für bildgebende Verfahren (z.B. Hochfeld Magnet Resonanz) zusammen mit klinischen Experten für die Regeneration von Knochen, Gelenken und Nerven. Das Ziel dieses Forschungsclusters ist ein besseres Verständnis der Regeneration von Weichteilen, Knorpel, Knochen und Nerven und - darauf aufbauend - neue und verbesserte Behandlungsmethoden.

Erfolg und internationale Reputation des Forschungszentrums werden nicht nur durch die Anzahl an wissenschaftlichen Publikationen (über 1200 seit 1980), Monographien und Patentfamilien dokumentiert, sondern auch durch die Rolle in den internationalen Fachgesellschaften, die es durch die Organisation großer internationaler Fachkongresse in Wien erlangt hat, beispielsweise des dritten Weltkongresses der Tissue Engineering & Regenerative Medicine Society (TERMIS) im September 2012, die den Autor zu ihrem europäischen Präsidenten gewählt hat.

Das Institut ist auch in der Aus- und Weiterbildung von Ärzten, Studenten und PostDocs involviert und veranstaltet Lehrgänge in Partnerschaft mit dem Technikum Wien (" Tissue Engineering and Regenerative Medicine"), der TU Wien ("Biomedical Engineering") sowie der Medizinischen Universität Wien ("Regeneration of Bone and Joint").

Finanziert wird das LBI Trauma von der AUVA und der Ludwig Boltzmann Gesellschaft, darüber hinaus auch direkt über Projekte aus der Industrie und der Europäischen Union.

Forschungsschwerpunkte des LBI

Die beiden großen Forschungsbereiche am LBI Trauma sind Geweberegeneration und Intensivmedizin. Daneben bietet das Institut als Service für klinische Mediziner Ausstattung und Methoden, die es erlauben Forschungsfragen in der Unfallchirurgie kompetent zu bearbeiten. Ein Überblick über die Forschungsbereiche und Projekte ist in Abbildung 3 gegeben. Forschungsbereiche und Projekte des LBI TraumaAbbildung 3. Forschungsbereiche und Projekte des LBI Trauma. Details zur Organisation der Bereiche und einzelnen Projekte: siehe http://trauma.lbg.ac.at/

Schwerpunkt: Geweberegeneration

Ein Zugang zur Geweberegeneration ist es, die Wundheilung durch den Einsatz von Wachstumsfaktoren oder speziellen Wundverbänden zu beschleunigen.

Ein anderer Zugang beruht auf der Möglichkeit Stammzellen zu verwenden, die aus verschiedenen Quellen, wie zum Beispiel aus dem Knochenmark, dem Fettgewebe, der Plazenta oder der Nabelschnur gewonnen werden können. Diese Stammzellen können entweder mit Hilfe von Wachstumsfaktoren oder mechanischer Stimulierung oder einer Kombination von beiden in vitro oder in vivo in die gewünschte Zellart differenziert werden. Die Zellen werden dann in spezifischen Trägerstrukturen („Scaffolds“) oder Hydrogele eingebracht, die biochemisch stabil und biokompatibel und zusätzlich biologisch abbaubar sein müssen.

Der Verbund aus Zellen und Trägerstrukturen wird in passende Modelle implantiert oder injiziert und dort auf Biokompatibilität geprüft und die regenerative Kapazität gemessen. Bei Haut können spezielle Belastungs-/Dehnungstests durchgeführt werden, bei Knochen und Osteosynthesematerialien stehen verschiedene biomechanische Tests und morphologische Methoden zu Verfügung.

Blutstillung (Hämostase). Neben der Weiterentwicklung der Gewebeklebung mit Fibrin werden neue Methoden zum Stoppen von Blutungen erforscht. Ein großes Problem stellen Gerinnungsstörungen bei der Versorgung von Schwerverletzten dar, die mit massiven Blutungen einhergehen und zu einer deutlich erhöhten Mortalität führen.

Knochenregeneration. Hier geht es um die Entwicklung neuer und die Verbesserung existierender Behandlungsverfahren (Ersatzmaterialien und Implantatoberflächen) und die Untersuchung aktueller Therapiekonzepte im Hinblick auf ihre Effizienz und ethische Vertretbarkeit in der Praxis. Grundlagenforschung und optimierte biomechanische und histologische Methoden unterstützen die Arbeit des Teams.

Neurogeneration. Der Bereich der Neuroregeneration beschäftigt sich mit den kritischsten Ereignissen von Traumapatienten und ist daher in zwei spezialisierte Teams gegliedert:

Das erste Team befasst sich mit Rückenmarksverletzungen (d.i. mit dem Zentralnervensystem), wobei das Hauptaugenmerk bei speziellen bildgebenden Verfahren, den molekularen Mechanismen und den therapeutischen Aspekten liegt, um Sekundärschäden nach einer Rückenmarksverletzung zu reduzieren.

Das zweite Team beschäftigt sich mit der Regeneration peripherer Nerven und der Reinnervation ihrer Zielorgane (wie zB. der Muskulatur). Es werden sowohl experimentelle wie auch klinische Studien durchgeführt um eine Verbesserungen der Regeneration peripherer Nerven und der mikrochirurgischen Nervennahttechnik zu erreichen. Auch sind die Verbesserung der funktionellen Endergebnisse durch die Nützung und Verstärkung der Plastizität des Gehirnes Teil dieser Forschung. Können Nervendefekte nicht direkt „genäht" werden, so werden diese mit Zell - besiedelten und Wachstumsfaktor - versetzten bioresorbierbaren künstlichen Nerven-Transplantaten überbrückt.

Knorpel-/Sehnenregeneration. Im Bereich Knorpel und Sehnen wird an der Verbesserung der Regeneration, nach einem Trauma, durch neue Kombinationen von Zellen, Biomaterialien und Wachstumsfaktoren beziehungsweise mechanischer Stimulierung gearbeitet. Ziel ist das Austesten neuer Methoden und die Überführung in die klinische Anwendung, wobei vor allem bildgebende Verfahren zur Qualitätskontrolle eingesetzt werden sollen.

Schwerpunkt: Intensivmedizin

Dieser Forschungsbereich versucht die wesentlichen pathologischen Vorgänge aufzuklären, die der Sepsis und dem septischen Schock zugrunde liegen. Zum Einen vermag das Blutgefäß-system die Organe nicht mehr ausreichend zu durchbluten und zum Anderen vermögen die Zellen nicht mehr ausreichend Sauerstoff aus dem Blut aufzunehmen.

Die Forschungsziele sowohl experimentell als auch klinisch im Bereich von Schock und Trauma umfassen das Verständnis der zugrundeliegenden Mechanismen. Dazu zählt vor allem die Aufklärung der molekularen Mechanismen, die das Entzündungsgeschehen und Organversagen im septischen Schock verursachen. Das Hauptaugenmerk gilt dabei auf den so genannten reaktiven Sauerstoff Spezies (ROS), Stickstoffmonoxyd (NO), verschiedenen Übergangsmetallen, sowie wichtigen pro- and anti-entzündlichen Mediatorstoffen, die an den pathologischen Veränderungen bei Sepsis und in Folge beim Organversagen beteiligt sind.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Untersuchung der durch Sepsis ausgelösten Funktionsänderungen und Schädigungen an Zellen und subzellulären Organellen. Damit wird versucht, Einblicke in die Kausalkette der Vorgänge zu bekommen, die letztlich zum (multiplen) Organversagen und zum Tod führen kann. Das Hauptaugenmerk dabei liegt auf den Mitochondrien und ihrer Funktion unter septischen Bedingungen.

Angestrebt wird eine maßgeschneiderte Therapie („personalisierte Medizin“), die vom individuellen Immunstatus des Patienten ausgeht und sensitive Nachweismethoden zur Diagnose, Planung und Überwachung individueller therapeutischer Maßnahmen anwendet.

Reparieren und/oder regenerieren. Auf dem Weg zum künstlich hergestellten Organersatz

Mit der Weiterentwicklung des „Fibrinklebers“ hat das Institut Geschichte geschrieben. Wo früher Blutgefäße oder Gewebeteile genäht wurden, wird heute weltweit geklebt. Die Möglichkeiten und Vorteile dieses für jegliche „Reparaturen“ – Blutstillung, Verschluß von verletzten Gewebeteilen, Wundheilung, etc. – essentiellen Verfahrens sollen demnächst in einem eigenen Artikel: „Kleben statt Nähen“ dargestellt werden.

Wenn heute die volle Funktionsfähigkeit von kranken, verletzten bis hin zu zerstörten Organ(teil)en wieder hergestellt werden soll, kann dies im Prinzip durch gezielte Züchtung von körpereigenen Geweben – Tissue Engineering – bereits bewerkstelligt werden. Derartige Züchtungen basieren auf menschlichen Zellen, welche die in Frage stehenden Gewebe – Knochen, Sehnen, Knorpel, Haut, etc. – zu regenerieren vermögen. Diese Zellen werden auf eine Trägerstruktur aufgebracht und durch mechanische Reize oder biologische Stimuli (z.B. Wachstumsfaktoren) zur Vermehrung angeregt. Stammzellen, vor allem aus dem Fettgewebe des betroffenen Patienten, sind hervorragend für derartige Züchtungen geeignet. Als Trägerstruktur dienen biologische Materialien wie humanes Fibrin oder Seiden-Fibroin.

Diese Methode wird bei uns beispielsweise für schwere Knieverletzungen, wie den Kreuzbandriß, entwickelt: Eine Trägerstruktur aus Seidenfibroin wird mit Stammzellen besiedelt und – in Kooperation mit der TU Wien - im Bioreaktor gedehnt und gedreht, wie dies unter natürlicher Belastung der Fall ist. Die Trägerstruktur weist die Stabilität, Reißfestigkeit und Beweglichkeit eines natürlichen Kreuzbandes auf und kann, in das Kniegelenk eingesetzt, sofort mechanisch belastet werden. Innerhalb weniger Monate haben die Stammzellen dann ein neues, natürliches und belastbares Band generiert und die Trägerstruktur wurde vom Körper abgebaut. Dieses im Tiermodell bereits erprobte Verfahren soll in Kürze an Patienten getestet werden.

Kombinationen von Zellen auf Trägern mit wachstumsfördernden Maßnahmen, wie Wachstumsfaktoren und/oder mechanischen Reizen (z.B. Stroßwellen), erbringen Verbesserungen in der Regeneration von Nerven und ihrer Funktionalität. Mit derartigen Systemen könnten beispielsweise Erfolge bei Querschnittsgelähmten erzielt werden. Stoßwellentherapie wird übrigens bereits seit längerer Zeit in der Therapie von schlecht heilenden Knochenbrüchen und chronischen Wunden eingesetzt.

Die Vision in Zukunft verletzte oder auch altersbedingt veränderte Gewebe nicht nur reparieren sondern mittels künstlich hergestellter Produkte auch regenerieren zu können, erscheint durchaus plausibel.


Weiterführende Links

Webseite des LBI Trauma: http://trauma.lbg.ac.at/de/
Video über das LBI Trauma: http://www.meetscience.tv/episode/LBI_Trauma 7:12 min
Webseite der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt: http://www.auva.at/mediaDB/754204_Alles%20aus%20EINER%20Hand.pdf