Herzliche Gratulation Anton Zeilinger zur höchsten Auszeichnung in Physik!

Di, 04.10.2022 — Redaktion

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Der diesjährige Nobelpreis für Physik geht an den österreichischen Quantenphysiker Anton Zeilinger, den französischen Physiker Alain Aspect und den US-Amerikaner John Clauser. Sie werden für ihre bahnbrechenden Experimente mit verschränkten Quantenzuständen ausgezeichnet. Im folgenden Text erzählt Anton Zeilinger von seiner Faszination für die Quantentheorie, wie sich aus dieser ursprünglich ausschliesslich als Grundlagenforschung gedachten Fachrichtung nun Anwendungen ergeben, die "unsere kühnsten Träume übertreffen."*

Anton Zeilinger: Von meiner Faszination für die Quantenphysik zu ersten Experimenten und konzeptuellen Überlegungen  

Anton Zeilinger, 2021.(Bild: Jaqueline Godany - https://godany.com/ cc-by

Mein Interesse an der Wissenschaft wurde wahrscheinlich durch meinen Vater geweckt, der Biochemiker war. Nachdem ich also neugierig geworden war, wie die Welt funktioniert, wurde ich durch einen motivierenden Lehrer im Gymnasium auf den Weg in Richtung Mathematik und Physik gebracht. Er konnte uns das Gefühl vermitteln, dass wir die Grundlagen der Relativitätstheorie oder der Quantenmechanik verstanden hatten. Im Nachhinein betrachtet war dieses Gefühl zwar nicht wirklich gerechtfertigt, aber es hat mich entscheidend motiviert. Als ich dann 1963 begann, an der Universität Wien Physik und Mathematik zu studieren, gab es überhaupt keinen festen Lehrplan. Man war im Wesentlichen frei, die Themen nach eigenem Gusto zu wählen. Nur am Ende musste man das Rigorosum - eine wirklich strenge Prüfung - ablegen und eine Dissertation vorweisen. Das führte dazu, dass ich nicht eine einzige Stunde Quantenmechanik belegte, sondern alles aus Lehrbüchern für die Abschlussprüfung lernte. Als ich diese Lehrbücher las, war ich sofort von der immensen mathematischen Schönheit der Quantentheorie beeindruckt. Aber ich hatte das Gefühl, dass die wirklich grundlegenden Fragen nicht behandelt wurden, und das steigerte meine Neugierde nur noch mehr.

Es gab zwei Punkte, die mir auffielen und mein Interesse noch mehr weckten.

Erstens die Feststellung, dass es keinen Konsens über die Interpretation der Quantentheorie zu geben schien. Damit meine ich die Interpretation dessen, was dies für unsere Weltanschauung oder vielleicht sogar für unsere Stellung in der Welt bedeuten könnte. Zweitens gab es nur sehr wenige experimentelle Belege für die Bestätigung der Vorhersagen der Quantenmechanik für einzelne Teilchen oder einzelne Quantensysteme, wie Teilchensuperposition oder Quantenverschränkung.

Verschränkung (Bild: © Johan Jarnestad/The Royal Swedish Academy of Sciences. cc-by-nc

Auf diese Weise bin ich dazu gekommen, Vorhersagen für einzelne Systeme im Detail zu studieren, und ich schätze mich sehr glücklich, dass ich durch meine Arbeit in der Gruppe von Helmut Rauch in Wien dazu ermutigt wurde, diese Ideen weiterzuverfolgen, und dass ich mich langsam an Experimente zu den Grundlagen der Quantenmechanik herantasten konnte. Damals gab es noch recht diffuse Ansichten über die Interpretation und Bedeutung der Quantenphysik für einzelne Systeme. Ich erinnere mich noch daran - als ich über einige der Neutronenexperimente (die von Helmut Rauch initiiert worden waren) referierte, dass sogar angesehene hochrangige Fachkollegen auf uns zukamen und ihre Verwunderung zum Ausdruck brachten: "Funktioniert Superposition wirklich so, Teilchen für Teilchen?"Meine Antwort war: "Was haben Sie denn sonst erwartet?"

Damals gab es erhebliche Uneinigkeit, z. B. darüber, ob die Quantenmechanik einzelne Systeme oder nur statistische Ensembles beschreibt, welche Rolle die Umgebung spielt oder was die Quanten-Nichtlokalität wirklich bedeutet. Die Erfahrung vieler Gruppen weltweit mit einer Vielzahl von Quantenphänomenen für einzelne Systeme hat auch zu einem viel besseren Verständnis der grundlegenden Fragen der Quantenmechanik geführt. Es wird nun allgemein akzeptiert und verstanden, dass die Natur nicht lokal beschrieben werden kann, dass die Verschränkung ein grundlegender Bestandteil unserer Beschreibung der Welt ist und dass es objektive Zufälligkeit gibt und vieles mehr. Der Standpunkt, dass die Quantenphysik bei richtiger Betrachtung das Verhalten einzelner Quantensysteme beschreibt, hat sich weitgehend durchgesetzt. Wir verstehen auch die Rolle der Umgebung und der Dekohärenz viel besser, und es wurden viele neue Phänomene auf fundamentaler Ebene entdeckt. Für viele setzt sich nun die Ansicht durch, dass die Information eine sehr grundlegende Rolle für das Verständnis der Quantenmechanik spielt.

Zur großen Überraschung aller, die das Glück hatten, früh in dieses Gebiet einzudringen, haben sich Anwendungen ergeben, die unsere kühnsten Träume übertreffen. Ich persönlich halte es für sehr wahrscheinlich, dass die Quanteninformationstechnologien eines Tages die traditionellen Informationstechnologien, wenn nicht vollständig, so doch in erheblichem Maße ersetzen werden.

Typisches und interessantes Beispiel aus jüngster Zeit ist das Aufkommen von Quantenexperimenten im Weltraum. Im Jahr 2016 wurde der erste Quantensatellit von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften gestartet. Eine konkrete Vision für die Zukunft ist ein weltweites Quanteninternet, bei dem Bodenstationen direkt mit Quantenkommunikationsverbindungen über Glasfasern und über große Entfernungen und interkontinental über Quantensatellitennetze verbunden sind.

Sicherlich hat in den Anfängen der Experimente an einzelnen Systemen zur Erprobung der Grundlagen der Quantenmechanik niemand auch nur im Entferntesten geahnt, dass heute weltweit riesige Gruppen mit insgesamt wohl Tausenden von Wissenschaftlern an möglichen Anwendungen arbeiten. Dies ist einmal mehr die Bestätigung eines Musters, das in der Geschichte der Physik oder der Wissenschaft im Allgemeinen sehr häufig zu beobachten ist: Die tiefstgreifenden und wichtigsten Anwendungen werden nicht durch die Suche nach Anwendungen gefunden, sondern durch Grundlagenforschung, die völlig neue Türen öffnet.


 * Aus dem langen Artikel von Anton Zeilinger "Light for the quantum. Entangled photons and their applications: a very personal perspective" in Physica Scripta (2017), Volume 92, Number 7, https://iopscience.iop.org/article/10.1088/1402-4896/aa736d wurden einige Absätze ausgewählt und möglichst wortgetreu übersetzt. Der Artikel steht unter einer cc-by-Lizenz © 2017 The Royal Swedish Academy of Sciences.


The Nobelprize in Physics - Announcement: https://www.nobelprize.org/prizes/physics/2022/prize-announcement/