COVID-19 - ist ein Ende der Pandemie in Sicht?

Do, 20.01.2022 — Ricki Lewis

Ricki LewisIcon Medizin Die Infektionszahlen mit der neuen hochmutierten Omikron-Variante nehmen rasant zu. Impfungen und auch eine dritte Auffrischungsimpfung - Booster - bieten nur eingeschränkten Schutz vor einer Infektion. Grund dafür dürfte sein, dass die gegen den ursprünglichen Corona- Wildtyp gerichteten Vakzinen zwar in beschränktem Ausmaß neutralisierende Antikörper auch gegen Omikron initiieren, diese aber sehr rasch absinken. Dass es dennoch zu milderen Krankheitsverläufen kommt als bei Infektionen mit früheren Corona-Varianten, wird dem Schutz durch eine starke Vakzinen-induzierte T-Zellantwort zugeschrieben. Trotz der katastrophalen Infektionszahlen sehen führende Immunologen und Virologen nun eine positive Wendung im Infektionsgeschehen. Die Genetikerin Ricki Lewis berichtet darüber.*

Ein Ende könnte in Sicht sein. Zum ersten Mal seit Beginn der Pandemie habe ich mir eine Pressekonferenz von medizinischen Experten angehört, die mir keine Albträume bescherte.

Dies war am 11. Dezember 2021, der wöchentliche Zoom des Massachusetts Consortium on Pathogen Readiness (MassCPR). Die Gruppe eloquenter Experten hatte sich zu Beginn der Pandemie gebildet: Seither haben sie sporadische Informationsveranstaltungen für Journalisten abgehalten, die, als sich Anfang Dezember Omikron abzeichnete, bis auf wöchentliche Veranstaltungen steigerten

Von JAMA zu MassCPR

Am Anfang war ich ein Fan der Online-Gespräche mit Howard Bauchner, der damals Chefredakteur des medizinischen Fachjournals Journal of the American Medical Association war. Dr. Bauchners entspannte Art brachte die Superstars der Pandemie – von Anthony Fauci (Direktor des National Institute of Allergy and Infectious Diseases (NIAID) and Chief Medical Advisor to the President; Anm. Redn.) über Rochelle Walensky ((Leiterin der Centers for Disease Control and Prevention - CDC; Anm. Redn.) bis hin zu Paul Offit (Leiter des Vaccine Education Center)– dazu, auch entspannt zu sein. Das war noch die Zeit, als die Experten vom Ziel einer Herdenimmunität sprachen. Ich vermute, keiner von ihnen hätte daran gedacht, dass so viele Menschen lebensrettende Impfstoffe ablehnen würden. Dass die Entscheidung dafür gar zum Politikum würde, das uns alle gefährdet und einen fruchtbaren Boden für Omikron und die anderen Varianten bietet, dass sie evolvieren, auftreten und uns bedrohen. Ich muss zugeben, dass ich davon überrumpelt wurde.

Eines der ersten Gespräche von Dr. Bauchner war mit Maurizio Cecconi vom Humanitas Research Hospital in Mailand. In Coronavirus in Italy, Report from the Front Lines, beschrieb Cecconi die schreckliche Situation in der Lombardei. Es war der 16. März 2020. Ich starrte auf meinen Bildschirm, auf das Bild einer düsteren und scheinbar endlosen Parade von Särgen, die sich langsam eine breite Allee entlang bewegten. Ich hätte nie gedacht, dass meine Tochter bald einen noch schlimmeren Ausblick aus ihrem Fenster auf eine Notaufnahme in Astoria, Queens (Stadtteil von New York; Anm. Redn.) haben würde. Diese Leichen lagen nicht horizontal wie auf der italienischen Promenade, sondern vertikal gestapelt und warteten auf die weißen Kühllaster, um sie abzutransportieren.

Bedauerlicherweise ging Dr. Bauchner im Juni 2021 "über Bord", nachdem er es versäumt hatte, einen rassistischen Podcast zu stoppen, den JAMA leider und unerklärlicherweise gesponsert hatte (“Structural Racism for Doctors—What Is It?” nicht mehr verfügbar; Anm. Redn.). Darin behaupteten zwei weiße Redakteure, dass es in der Medizin keinen strukturellen Rassismus gibt, weil er illegal ist.

Ja, Dr. Bauchner hat es versäumt, auf die beiden Redakteure loszugehen; ich vermisse aber nun seine Podcasts.

So bin ich zu den MassCPR-Pressekonferenzen abgewandert. Eine davon vor etwa einem Jahr habe ich zu einem Blog-Beitrag in DNA-Science gemacht ("Überholt der COVID-Optimismus endlich den Pessimismus? Harvard-Experten stimmen zu"[1]). Impfstoffe wurden auf den Markt gebracht, Ärmel hochgekrempelt und Idee und Idealvorstellung einer Herdenimmunität mussten noch begraben werden. Ich hatte gerade meine erste Impfung bekommen, was mir meine Polio-Impfung in der Grundschule in Erinnerung rief.

Omikron taucht auf

Die Frequenz der MassCPR-Briefings nahm zu, wurde wöchentlich, als sich seit Anfang Dezember Omikron von Südafrika aus zu verbreiten begann.

Was die Redner uns auf der Grundlage von Vorabdrucken und dem, was sie von Kollegen und direkten Erfahrungen mit an COVID-Erkrankten und Sterbenden wussten, erzählten, war den Nachrichten immer Tage, wenn nicht Wochen voraus. So hatte ich in den folgenden Tagen dieses Gefühl des Untergangs, als Freunde mir Artikel aus den Mainstream-Medien und von anderen Journalisten im Zoom schickten.

Die MassCPR-Pressekonferenz vom 14. Dezember 2021 bildete den größten Teil meines DNA-Wissenschaftsbeitrags „Pandemie zu schnell, um ihr zu folgen, da drei Infektionswellen über die USA hinwegfegen: Delta, Omicron und Grippe“ [2]. Ich endete in Finsternis und Untergangsstimmung unter der Überschrift „Was mich nachts wach hielt“ mit einem ausführlichen Zitat von Jacob Lemieux, einem Spezialisten für Infektionskrankheiten am Massachusetts General Hospital. Die zu befürchtende ausgedehnte Reisetätigkeit über Weihnachten und Silvester machte mir Angst.

Das erste MassCPR-Briefing des neuen Jahres habe ich ausgelassen, nachdem ich in den Abendnachrichten die steil ansteigenden Kurven von Krankenhauseinweisungen gesehen hatte - katastrophale Spitzenwerte, die hauptsächlich von denen verursacht wurden, die sich immer noch weigerten, sich impfen zu lassen. Sie dürften nun endlich Plateauwerte erreichen.

Die Hoffnung kommt von T-Zellen

Am 11. Januar hat wieder der faszinierende Dr. Lemieux das MassCPR -Briefing beendet, und ich war fassungslos über seinen positiven Ton. Vieles davon stammte aus einer Zusammenstellung von Ergebnissen und daraus sich ergebenden Folgerungen, dass sinkende Spiegel neutralisierender Antikörper gegen Omikron und die allgemein milden Symptome bedeuten, dass T-Zellen Schutz bieten.

Kurze Biologiestunde

T-Zellen induzieren B-Zellen zur Ausscheidung von Antikörpern und sie zerstören auch virusinfizierte Zellen. Der Nachweis von T-Zellen ist allerdings wesentlich schwieriger und länger dauernd als der von Antikörpern; T-Zellen dürften aber das verlässlichste „correlate of protection“ [3]– Indikator für das Überwinden einer Infektion sein . Abbildung 1. In anderen Worten: Antikörper erzählen nicht die ganze Geschichte. Die meisten Medienberichte, die ich gesehen habe, haben aufgehört, irgendetwas über Antikörper hinaus zu erklären, und die lebenswichtige zelluläre Immunantwort -der T- und B-Zellen - ignoriert. Antikörper bilden die humorale Immunantwort („humor“ bedeutet „Flüssigkeit“; Antikörper werden im Blutserum nachgewiesen). Ende des Biologieunterrichts.

Abbildung 1: . Schematische Darstellung der adaptiven Immunantwort nach einer Virus-Infektion. Das Virus wird von Makrophagen oder dendritischen Zellen inkorporiert und zu Bruchstücken (zu kurzen Peptiden) abgebaut, die als Antigene an der Zelloberfläche präsentiert werden. T-Zellen heften sich an diese Antigene. Ihre Aktivierung führt einerseits zur Generierung von B-Zellen, die gegen das Antigen spezifische Antikörper generieren und sezernieren (humorale Immunantwort) und cytotoxische (Killer)-T-Zellen, die infizierte Zellen zerstören (zelluläre Immunantwort). Die Aktivierung führt auch zu Gedächtniszellen von B-Zellen und T-Zellen, die bei erneutem Kontakt mit demselben Erreger eine sekundäre Immunantwort einleiten. (Bild und Beschriftung von Redn. eingefügt. Bild modifiziert nach Sciencia58 https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Immunantwort_1.png. Lizenz: cc-by-sa)

Am 11. Jänner spürte man bei den Rednern insgesamt eine Veränderung. Klischees schwappten hoch wie: Licht am Ende des Tunnels. Sehr finster vor der Morgendämmerung. Und so schließe ich mit dem, was Dr. Lemieux zu sagen hatte:

„Bei diesen Briefings wird es immer schwieriger Fragen zu beantworten. Wir wissen nicht, was die Zukunft bringt.

Am Anfang dachte ich, ok, was können wir von Omikron annehmen? Wir wussten, dass es beängstigend aussieht, und dass wir herausfinden müssten ob damit eine Zunahme der Übertragbarkeit signalisiert wird. In den nächsten Wochen wurde klar, dass Omikron viel stärker übertragbar ist. Und als experimentelle Labordaten eintrafen, zeigten sie, dass Omikron die bislang der Immunantwort am weitesten ausweichende Variante ist. Von da an war der Weg vorbestimmt - außerordentlich übertragbar und immunausweichend, also würde sich Omikron ausbreiten und das tat es auch. Es war leicht zu konstatieren, dass es in der folgenden Woche mehr Fälle geben würde; wir wussten allerdings nicht, wie gut die Impfung funktioniert und ob es einen Unterschied in der Schwere der Erkrankung geben würde.

Glücklicherweise zeigen Impfstoffe immer noch Wirksamkeit und die Variante ist weniger virulent. Aber in Bezug auf die Vorhersage, was jetzt passiert, ist es viel schwieriger. Alles, was wir sagen, muss mit einem viel größeren Vorbehalt aufgenommen werden.

Wir können jetzt über die grundlegenden wissenschaftlichen Fragen sprechen, wie die Beobachtung, dass weniger Menschen mit Omikron sterben. Das sind gute Neuigkeiten. Aber wieso ist das so? Was ist die Quelle ihrer anhaltenden Immunität? T-Zellen? Eine nicht neutralisierende Funktion von Antikörpern? Alles Hypothesen, die im Begriff sind evaluiert zu werden, und wir beginnen, eine Flut an Veröffentlichungen zu sehen, die sich mit diesen Fragen befassen. Es fühlt sich an wie ein normaler wissenschaftlicher Prozess. Aber in Bezug auf das, was jetzt passiert, würde ich einfach sagen, dass wir alle zusammen daran sind und wir werden es bald herausfinden.

Erstens befinden wir uns in der Pandemie an einem ganz anderen Punkt als vor zwei Jahren. Es hat damals düster ausgesehen, mit null Behandlungen oder Impfstoffen und einer hohen Anzahl von Fällen, aber es gibt Licht am Ende des Tunnels. Wir sind immer noch im Tunnel, aber die Impfstoffe wirken und wir haben gelernt, welche Maßnahmen im Bereich der öffentlichen Gesundheit funktionieren, wie Masken und soziale Distanzierung. Und wir stehen kurz vor der Markteinführung von Medikamenten, die derzeit nur begrenzt verfügbar sind, aber zunehmen und an ambulante Patienten verabreicht werden und ein hohes Maß an Wirksamkeit aufweisen werden.

Wir sehen auch, dass das Virus im Laufe der Zeit weniger virulent wird. Wird sich dieser Trend fortsetzen? Wir hoffen es, wissen es aber nicht genau. Wir blicken auf etwas in Richtung einer normaleren Zukunft, insbesondere wenn der Winter langsam aufhört.

Aber ist das Virus schon endemisch? Nein. Es ist ganz klar immer noch eine Epidemie, weil die Fälle zunehmen.

Wird es noch eine Variante geben? Ja, denn Mutationen finden statt.

Werden neue Varianten die gleiche Auswirkung wie Omikron haben? Wir wissen es nicht, aber wir können sicherlich wissen, dass wir uns als Gesellschaft auf das mögliche und unvermeidliche Auftreten von Varianten vorbereiten müssen. Und das bedeutet, die Qualität der Überwachungssysteme zu verbessern und auch den Zugang zu bereits vorhandenen Impfstoffen und Medikamenten. Wir müssen eine Strategie entwickeln, wie wir langfristig mit Varianten umgehen. In den kommenden Monaten werden wir eine Rückkehr zur Normalität erleben.

Moderator Bruce Walker, Direktor des Ragon Institute of MGH, MIT und Harvard, fügte hinzu: „Es gibt viele Gründe für Optimismus. Unter dem Strich müssen wir alles tun, um zu verhindern, dass wir uns im nächsten Monat infizieren, während wir uns mitten in einem Anstieg befinden. Dann, meine ich , werden uns erneut damit befassen, wie wir vorankommen und zu einer Balance mit dieser Pandemie gelangen.“


[1] Ricki Lewis, 04.03.2021: Is COVID Optimism Finally Overtaking Pessimism? Harvard Experts Weigh In. https://dnascience.plos.org/2021/03/04/is-covid-optimism-finally-overtaking-pessimism-harvard-experts-weigh-in/

[2] Ricki Lewis, 16.12.2021: Pandemic Too Fast to Follow as Three Waves of Infection Wash Over the US: Delta, Omicron, and Flu. https://dnascience.plos.org/2021/12/16/pandemic-too-fast-to-follow-as-three-waves-of-infection-wash-over-the-us-delta-omicron-and-flu/

[3] Ricki Lewis, 21.09.2021: Viewpoint: Does mounting evidence for vaccine “durability” suggest we delay boosters for all until we learn more? https://geneticliteracyproject.org/2021/09/21/viewpoint-does-mounting-evidence-for-vaccine-durability-suggest-we-delay-boosters-for-all-until-we-learn-more/ ------------------------------------------------------ *

* Der Artikel ist erstmals am 13.Jänner 2022 in PLOS Blogs - DNA Science Blog unter dem Titel " Pandemic Predictions Take a Turn Towards the Positive – Finally" https://dnascience.plos.org/2022/01/13/pandemic-predictions-take-a-turn-towards-the-positive-finally/ erschienen und steht unter einer cc-by Lizenz . Die Autorin hat sich freundlicherweise mit der Übersetzung ihrer Artikel durch ScienceBlog.at einverstanden erklärt, welche so genau wie möglich der englischen Fassung folgen. Abbildung 1 und Legende wurden von der Redaktion eingefügt.


Weitere Links:

Massachusetts Consortium on Pathogen Readiness  https://masscpr.hms.harvard.edu/

Inge Schuster, 11.12.2021: Labortests: wie gut schützen Impfung und Genesung vor der Omikron-Variante von SARS-CoV-2? https://scienceblog.at/omikron-impfschutz

Inge Schuster, 16.12.2021: Omikron - was wissen wir seit vorgestern? https://scienceblog.at/omikron-wirksamkeitsstudie