Omikron - was wissen wir seit vorgestern?

Do. 16.12.2021  — Inge Schuster

Inge Schuster Icon Medizin Die Omikron-Variante von SARS-CoV-2 weist eine hohe Zahl an Mutationen auf, insbesondere im Spikeprotein, mit dem es an unsere Zellen andockt. Wie Labortests zeigen kann Omikron deshalb in hohem Maße der schützenden Immunantwort durch Antikörper entkommen, die durch Impfung oder Infektion gegen ein nicht-(weniger-)mutiertes Spikeprotein erzeugt worden waren. Eine großangelegte britische Studie an mehr als 180 000 Personen zeigt nun erstmals in welchem Ausmaß die aktuellen Vakzinen von Pfizer und AstraZeneca vor symptomatischen Infektionen mit den Omikron-und Delta-Varianten schützen können. Auch wenn über die Zeit hin neutralisierende Antikörper bereits verschwunden sind, bleibt ein gewisser Schutz noch bestehen, möglicherweise durch eine substantielle Beteiligung von T-Zellen an der Immunantwort.

Die neue Omikron-Variante von SARS-CoV-2 breitet sich mit einer bisher nie gekannten, rasanten Geschwindigkeit über den ganzen Erdball aus - bereits 77 Länder sind davon betroffen (WHO, Status 15.12.2021), auch solche mit hohen Durchimpfungsraten. In nicht minder rasantem Tempo versuchen Forscherteams auf der ganzen Welt die Gefährlichkeit dieser Variante zu ergründen und Mittel und Wege zu ihrer Eindämmung zu finden. Weil es ja so schnell gehen muss, werden die Ergebnisse in Form vorläufiger Berichte sofort auf online- Plattformen wie medRxiv oder bioRxiv gestellt und sind für jedermann zugänglich.

Seit einer Woche häufen sich Berichte, die übereinstimmend zeigen, dass Antikörper, die durch die aktuellen Impfungen oder auch Infektionen erzeugt wurden, in Labortests Omikron sehr viel schwächer neutralisieren als die bisherigen Varianten (zusammengefasst in (1]). Ein britisches Team aus akademischen Institutionen und Gesundheitseinrichtungen hat nun eine großangelegte erste - ebenfalls vorläufige - Untersuchung aus der "realen Welt" vorgelegt, nämlich eine Studie zur Wirksamkeit der aktuellen Impfungen gegen symptomatische Erkrankungen durch die Omikron-Variante und die (noch) dominierende Delta-Variante [2].

Die Situation in Großbritannien

Hier begannen die Impfungen gegen COVID-19 bereits im Dezember 2020, wobei jeweils 2 Mal hauptsächlich mit der Vakzine von Pfizer/Biontech-Impstoff (BNT162b2) oder von AstraZeneca (ChAdOx1-S) (oder in geringem Ausmaß von Moderna (mRNA-1723)) geimpft wurde. Im September 2021 begann man 6 Monate nach der letzten Impfung mit einem dritten Stich, einem Boostern mit dem Pfizer- oder Moderna-Impfstoff.

Die Durchimpfungsrate der Bevölkerung ist hoch. Insgesamt sind rund 70 % zwei Mal geimpft, von den über 50 Jährigen sind es über 80 %; und rund 37 % der Bevölkerung haben bereits einen dritten Stich erhalten. (UK Health Security Agency, Stand 15.12.2021).

Die ersten symptomatischen Omikron-Infektionen wurden mittels Genom-Sequenzierung Mitte November 2021 festgestellt. Inzwischen hat deren Zahl exponentiell auf insgesamt 10 017 Fälle zugenommen - von vorgestern auf gestern waren es um 4671 Fälle mehr (UK Health Security Agency, Stand 15.12.2021).

Die Studie in Großbritannien

Insgesamt erfolgten Testungen zwischen dem 27.11. und 6.12.2021 an 187 887 Personen, die über Symptome einer möglicher COVID-19 Erkrankung klagten. Damals gab es erst "nur" 581 Fälle mit bestätigter Omikron-Infektion, in 56 439 Fällen war die damals bei weitem dominierende Delta-Variante der Verursacher. In 130 867 Fällen verlief der Test negativ (Table 1 in [2]).

Der bei weitem überwiegende Teil der Untersuchten war geimpft. Man wusste aber bereits , dass der Impfschutz gegen die Delta-Variante mit zeitlicher Distanz zur Impfung stetig abnahm. Eine Aufschlüsselung der Inzidenzen nach geimpft/ungeimpft ergab aber einen deutlichen Vorteil für die Geimpften: 72 % der Geimpften waren nicht mit SARS-CoV-2 infiziert, 28 % mit der Delta-Variante und 0,27 % mit der neuen Omikron Variante. Dagegen waren 49 % der Ungeimpften mit der Delta-Variante und 1 % mit der Omikron-Variante infiziert. Abbildung 1.

Abbildung 1: Die aktuellen Vakzinen sind gegen die dominierende Delta-Variante und die neue Omikron- Variante wirksam. (Abbildung mit Daten aus Tabelle 1,[2] zusammengestellt, die unter einer cc-by-nc-nd: Lizenz stehen).

Die Wirksamkeiten gegen die Omikron- und Delta-Varianten nehmen innerhalb weniger Monate ab

Im Detail erfassten die Testungen Zeiträume von 2 -9 Wochen bis 25 (und mehr) Wochen nach der 2. Dosis Impfstoff und (zumindest) 2 Wochen nach dem Booster, der sowohl nach 2 x Pfizer als auch nach 2 x AstraZeneca mit dem Pfizer-Impfstoff erfolgte.

Insgesamt war die Wirksamkeit gegen die Delta-Variante bedeutend höher als gegen die Omikron-Variante und nahm in beiden Fällen über die Zeit hin stark ab.

Nach etwa einem halben Jahr (25 + Wochen) war die Wirksamkeit der Pfizer-Doppelimpfung gegen die Delta-Variante von anfänglich (d.i. 2- 9 Wochen nach dem 2. Stich) rund 88 % auf im Mittel rund 63 % gesunken, 2 Wochen nach dem Booster stieg die Wirksamkeit aber wieder auf 92,6 %. Abbildung 2. Gegen die Omikron-Variante wirkte die Pfizer-Vakzine bedeutend schwächer: bereits 10 -14 Wochen nach der 2. Impfdosis war die anfängliche Wirksamkeit von im Mittel 88 % auf 48 % gesunken, nahm noch weiter auf rund 35 % ab und blieb dann über den weiteren Zeitverlauf konstant. 2 Wochen nach dem Booster wurden dann rund 75,5 % Wirksamkeit erreicht. Abbildung 2.

Abbildung 2. Wirksamkeit der Pfizer-Vakzine gegen die Delta-Variante (Quadrate) und Omikron-Variante (Kreise). Zeitverlauf nach dem 2. Stich und 2 Wochen nach dem Booster. . Ab 15 Wochen nach dem 2. Stich bleibt die Wirksamkeit gegen Omikron auf konstantem Niveau von rund 35 % .Auf Grund der zum Testzeitpunkt noch geringen Omikron-Fallzahlen, sind die Werte mit großen Streuungen behaftet. (Bild aus [2], Figure 1; Lizenz: cc-by-nc-nd).

Die mit der AstraZeneca-Vakzine gegen Delta und Omikron erzielten Ergebnisse waren weit schlechter. (Keine Abbildung.) Die Wirksamkeit gegen die Delta-Variante war nach 25 Wochen auf rund 42 % gesunken, gegen die Omikron-Variante gab es bereits 15 Wochen nach dem 2. Stich keine schützende Wirkung mehr. Ein dritter Stich mit der Pfizer Vakzine ergab 2 Wochen später eine gesteigerte Wirkung gegen Delta von rund 92 %, gegen Omikron von 71,4 %.

Fazit

2 Dosen der aktuellen Impfstoffe von Pfizer oder AstraZeneca reichen nicht aus, um vor symptomatischen Infektionen insbesondere mit der Omikron-Variante geschützt zu werden. Durch einen dritten Stich - Boostern - mit dem Pfizer-Impfstoff werden kurz danach adäquate Schutzwirkungen erzielt; darüber, wie lange dieser Schutz anhält, sind aber noch keine Daten erhoben.

Neutralisierende Antikörper und Impfschutz

Allgemein wird der Impfschutz vor symptomatischen Infektionen mit dem Vorhandensein neutralisierender Antikörper korreliert, die hochselektiv an Bereiche (Epitope) eines Pathogens binden und so dessen Eintritt in unsere Körperzellen und Vermehrung blockieren - das Pathogen neutralisieren.

In der vergangenen Woche hat das Team um die Frankfurter Immunologin Sandra Ciesek über Labortests berichtet, in denen untersucht wurde wieweit die in Serumproben Geimpfter enthaltenen Antikörper die authentischen Omikron- und Delta-Varianten zu neutralisieren vermögen [3] [1]. Gleichgültig ob 2 x mit der Pfizer-, der Moderna- oder der AstraZeneca-Vakzine geimpft worden war, konnten 6 Monate nach dem 2. Stich in keiner Serumprobe mehr Omikron-neutralisierende Antikörper nachgewiesen werden. Auch gegen die Deltavariante enthielten nur 47 % der Serumproben von Pfizer-Geimpften, 50 % der Moderna-Geimpften und 21 der AstraZeneca-Geimpften neutralisierende Antikörper. Das Boostern von 2 x Pfizer-Geimpften mit einem dritten Pfizerstich führte zu gesteigerten Antikörperspiegeln: 2 Wochen danach enthielten nun 100 % der Seren Antikörper gegen Delta, aber nur 58 % gegen Omikron; 3 Monate nach dem dritten Stich hatten noch 95 % der Seren messbare Titer gegen Delta, aber nur mehr 25 % gegen Omikron.

Abbildung 3. Der Impfschutz gegen Omikron- und Delta-Varianten ist höher als auf Grund von Antiköpertests geschätzt. Bestimmungen: 6 Monate nach 2 x Pfizer(2x6m), 2 Wochen nach 3. Pfizerstich (3x2w) und 3 Monate nach dem 3. Pfizerstich (3x3m) . Angaben in % der Serumproben, die neutralisierende Antikörper enthalten und % Wirksamkeit gegen symptomatische Infektionen n.b.: nicht bestimmt. (Daten zusammengestellt aus [2] und[3].)

Diese Antikörpertiter aus der Neutralisationsstudie und die aus der britischen Studie hervorgehende Wirksamkeit der Impfungen zeigen keine quantitative Korrelation. Dies ist für die 2x, 3x Impfung mit der Pfizer-Vakzine in Abbildung 3 dargestellt.

6 Monate nach 2x Pfizer sind in den Serumproben zwar keine neutralisierenden Antikörper gegen Omikron mehr enthalten [3], dennoch hat die Impfung noch 33 % Wirksamkeit (Abbildung 2, [2]). Auch gegen die Deltavariante ist die Wirksamkeit der Impfung nach 6 Monaten höher als aus den Antikörperspiegeln vermutet und ebenso 2 Wochen nach dem Boostern gegen die Omikron-Variante. Dies könnte auf eine substantielle, langanhaltende Beteiligung von CD8+ T-Zellen an der Immunantwort hinweisen, gegen die Omikron noch keine Fluchtmutationen entwickelt hat [4]; die Folge davon:

                   Wenn neutralisierende Antikörper verschwinden, besteht zwar ein hohes Risiko mit Omikron infiziert zu werden, patrouillierende T-Zellen können aber infizierte Zellen erkennen, deren Zerstörung einleiten und so einen schweren Krankheitsverlauf verhindern/mildern.


[1] I. Schuster, 11.12.2021.: Labortests: wie gut schützen Impfung und Genesung vor der Omikron-Variante von SARS-CoV-2?

[2] Nick Andrews et al., Effectiveness of COVID-19 vaccines against the Omicron (B.1.1.529) variant of concern; medRxiv preprint (14.12.2021), doi: https://doi.org/10.1101/2021.12.14.21267615

[3] A. Wilhelm et al., Reduced Neutralization of SARS-CoV-2 Omicron Variant by Vaccine Sera and monoclonal antibodies. doi: https://doi.org/10.1101/2021.12.07.21267432

[4] Andrew D Redd et al., Minimal cross-over between mutations associated with Omicron variant of SARS-CoV-2 and CD8+ T cell epitopes identified in COVID-19 convalescent individuals. doi: https://doi.org/10.1101/2021.12.06.471446


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