Infektionen mit Noroviren - ein enormes globales Problem

Fr, 29.04.2016 - 10:19 — Redaktion

RedaktionIcon MedizinNoroviren sind hochansteckend und verursachen Brechdurchfall. Die meisten Menschen infizieren sich damit mehrmals in ihrem Leben. Die gravierendsten Folgen - Hospitalisierung und Tod - betreffen hauptsächlich Kinder und alte Menschen, vor allem in Ländern mit niedrigem Einkommen. Jedes Jahr verursachen Noroviren mehr als 200 000 Todesfälle. In dem open access Journal PLOS - the Public Library of Science - ist vor drei Tagen eine Sammlung von Artikeln über Noroviren erschienen, in denen Experten den gegenwärtigen Stand des Wissens darlegen mit dem Ziel eine so dringend benötigte Vakzine zu entwickeln [1]. Der folgende Blog-Beitrag basiert auf dem Artikel "Norovirus – a tragedy of being common" [2] und wurde von der Redaktion in Deutsch übersetzt. Der Autor Ben Lopman* ist auch der führende Autor der PLOS Kollektion.

Eine überaus häufige Erkrankung

Noroviren gehören zu den häufigsten Krankheitserregern im Menschen. Weltweit sind sie die Hauptursache von Gastroenteritis (bei uns üblicherweise als Magen-Darmgrippe bezeichnet ; Anm. Redaktion) und diese wiederum gehört zu unseren häufigsten Beschwerden. Noroviren sind in bestimmten Risikogruppen eine verbreitete Krankheitsursache. Historisch gesehen waren es früher hauptsächlich Rotaviren, die schwere Gastroenteritiden bei Kindern verursachten und medizinische Behandlung nötig machten. Jetzt, wo in Industrieländern routinemäßig gegen Rotaviren geimpft wird, sind Infektionen mit diesen Viren stark zurückgegangen und Noroviren an deren Stelle getreten. Auch in den Entwicklungsländern stellen Norovirus-Infektionen ein massives Problem dar. Dies zeigt eine gut geplante und ausgeführte Multizentren Studie an Kindern in Afrika und Asien: in deren ersten Lebensjahren rangieren Noroviren gleich hinter Rotaviren, an zweiter Stelle, als Verursacher von Durchfallerkrankungen.

Global betrachtet werden Noroviren als Hauptursache lebensmittelbedingter Krankheiten gesehen.

Die Häufigkeit der Erkrankung birgt eine Tragödie in sich: Schätzungen zufolge verursachen Noroviren jährlich 200 000 Todesfälle, davon die allermeisten in den Entwicklungsländern - Noroviren tragen dort wesentlich zur Kindersterblichkeit bei. In den Industrieländern kommt es zu den meisten Ausbrüchen von Norovireninfektionen in Gesundheitseinrichtungen, wie etwa in Pflegeheimen (nein, nicht auf Kreuzfahrtschiffen, wie uns Zeitungsberichte glauben machen). In solchen Einrichtungen leben krankheitsanfällige Personengruppen - eine Infektion kann zu schwerer Krankheit, Hospitalisierung oder sogar zum Tod führen.

Wenn Sie sich an Ihre letzte Norovirus Infektion erinnern können, werden Sie vermutlich gegen deren alte Beschreibung als "leichte und sich selbst limitierende Erkrankung" protestieren - auch , wenn Sie ansonsten kerngesund sind. Erbrechen, Durchfall und daraus resultierend Dehydrierung mögen zwar nur kurz dauern, sind aber sehr heftig. Man kann sich leicht vorstellen, wie stark ein mangelernährtes Kind von einer Norovirus Infektion betroffen sein kann, das in einer Gemeinschaft mit nur begrenztem Zugang zu einer Gesundheitsversorgung lebt oder auch ein älterer Mensch, der bereits an anderen Grunderkrankungen leidet.

Was sind Noroviren?

Noroviren sind sehr stabile, hochansteckende RNA-Viren. Sie besitzen keine äußere Umhüllung, die einzelsträngige RNA (ssRNA) ist von einem Capsid aus 180 gleichen Proteinen umgeben (Abbildung 1). Eine ganz wesentliche Charakteristik ist die genetische Diversität und eine sehr rasche Evolution- neue Typen treten all 2 - 4 Jahre auf und verdrängen die vorher dominierenden.

Abbildung 1. Noroviren haben einen Durchmesser von ca. 38 nm und besitzen keine äußere Hülle. Das genetische Material - eine einzelsträngige RNA - wird von einem Capsid aus 180 gleichen Proteinmolekülen umgeben (rechts oben und unten). Der Kontakt des Capsid-Proteins mit dem Wirt ist der Beginn der Infektion (Bilder: http://collections.plos.org/norovirus, Elektronenmikroskopie: US Center of Disease Control, Virusmodell: New Mexico State University Learning Games Lab., Standard YouTube License)

Mangelnde wissenschaftliche Kenntnisse, unzureichende Mittel der Bekämpfung

Nach Meinung des auf Infektionskrankheiten spezialisierten US-amerikanischen Epidemiologen Benjamin Lopman gibt es zwei enorme Barrieren, die einem wesentlichen Fortschritt zur Bekämpfung des Norovirus im Wege stehen.

  • Das erste Hindernis besteht aus einer Reihe technischer Probleme, die das Vorankommen verlangsamt haben - vor allem das Problem Noroviren in Zellkultur effizient wachsen zu lassen. Ohne ein solches Zellkultur-System war es aber schwierig diagnostische Verfahren, Infektionstests und Vakzinen zu entwickeln. Zum Glück hat es im letzten Jahrzehnt hier wichtige Fortschritte gegeben - darunter die Erstellung einer sensitiveren Diagnostik und es ist auch gelungen das Norovirus in Zellkultur zu bringen; diese Erfolge sollten die Bemühungen zur Bekämpfung des Virus beschleunigen.
  • Das zweite Hindernis liegt darin, dass das Norovirus in so vielen unterschiedlichen Sparten eine wesentliche Rolle spielt. Ist das Norovirus nun als ein Problem der Kindersterblichkeit einzuordnen oder der Nahrungssicherheit oder einer mit Gesundheitseinrichtungen assoziierten Infektion? Alles davon trifft zu - dies mag die Gemeinschaft unserer Forscher und die im öffentlichen Gesundheitswesen Beschäftigten gehindert haben rund um dieses zentrale Problem zusammenzuwachsen.

Fortschritt

Im vergangenen Jahr haben sich das US Center for Disease Control and Prevention (CDC), die Gates Foundation und andere Partner in Atlanta getroffen und Vertreter aus Regierung, Akademie, Industrie und philanthropischen Einrichtungen zusammengebracht. Diese Gruppe wurde beauftragt die aktuellen Forschungsergebnisse über Noroviren kritisch durchzusehen, wesentliche Wissenslücken darin zu identifizieren und diesbezügliche, notwendige Untersuchungen vorzuschlagen. Ziel des Zusammentreffens war es den Weg zur Entwicklung einer Norovirus Vakzine anzustreben, die größtmöglichen Nutzen bringen sollte: nämlich den Kindern in den Entwicklungsländern zu helfen. Dabei wurde klar, dass Noroviren ein sehr großes globales Problem darstellen und auf viele Fragen noch keine wissenschaftlich fundierten Antworten gegeben werden können. Zumindest wissen wir jetzt, dass sich das globale Problem der Noroviren mit einem jährlichen Verlust von rund 60 Milliarden $ beziffern lässt.

Das Ergebnis der Tagung in Atlanta ist zum Teil in der PLOS-collection ( (http://collections.plos.org/norovirus; open access) nachzulesen.


[1] PLOS Collection: The Global Burden of Norovirus & Prospects for Vaccine Development. http://collections.plos.org/norovirus und Video (20:11 min) https://www.youtube.com/watch?v=SkayAf2RNos
[2] Ben Lopman: Norovirus – a tragedy of being common http://blogs.plos.org/collections/norovirus-a-tragedy-of-being-common/


* Zum Autor:

Ben Lopman, PhD ist ein Epidemiologe, der auf Infektionskrankheiten spezialisiert ist. Er hat an der London School of Hygiene and Tropical Medicine studiert (MSc), und den PhD-Grad in Epidemiologie an der Health Protection Agency erworben. Als Postdoc am Department of Infectious Disease Epidemiology des Imperial College London arbeitete er an der HIV-Epidemiologie in der Subsahara Region (Afrika). Er wurde dann Leiter der Viral Gastroenteritis Epidemiology Gruppe an der UK Health Protection Agency und Senior Lecturer an der London School of Hygiene and Tropical Medicine.

Seit 2009 arbeitet Lopman im Team Virale Gatroenteritis in der Abteilung für Viruserkrankungen der US Centers for Disease Control and Prevention (CDC) und ist auch Adjunct Assistant Professor in den Departments of Global Environmental Health and Epidemiology an der Emory University. Die Forschungsinteressen Lopman's richten auf die Epidemiologie von viralen Gastroenteriden (hervorgerufen vor allem durch Rotaviren und Noroviren) und ebenso auf wirksame Methoden zu deren Bekämpfung. Seine Ergebnisse sind in mehr als hundert peer-reviewed Arbeiten und zusätzlichen Buchkapiteln publiziert.


Weiterführende Links

Bill and Melinda Gates Foundation 29.08.2014: Der Kampf gegen Darm- und Durchfallerkrankungen.

WHO Durchfallerkrankungen: http://www.who.int/mediacentre/factsheets/fs330/en/

Norovirus. Video (englisch) 3:02 min. Transmission of Norovirus Video (englisch) 3:35 min. Orientation to the Molecular Structure of Norovirus Video (englisch) 2:36 min.