Die Erkundung der verborgenen prähistorischen Landschaft rund um Stonehenge

Fr, 02.09.2016 - 08:25 — Wolfgang Neubauer

Wolfgang NeubauerIcon MINT>Im Rahmen des bisher größten archäologischen Forschungsprojekts "Stonehenge Hidden Landscape Project" haben das Ludwig Boltzmann Instituts für Archäologische Prospektion und Virtuelle Archäologie (LBI ArchPro) und die Universität Birmingham den Untergrund der Landschaft rund um das weltweit wohl berühmteste neolithische Monument Stonehenge mittels modernster zerstörungsfreier Erkundungsmethoden systematisch "durchleuchtet" und erstmals eine detaillierte archäologische Landkarte erstellt. Wolfgang Neubauer (Direktor des LBI ArchPro) berichtet hier über die sensationellen Forschungsergebnisse, welche die Geschichte von Stonehenge in einem völlig neuen Licht erscheinen lassen.

Vor rund 10 000 Jahren wurde nach der letzten Eiszeit das Klima in Europa wieder wärmer. In der mittleren Steinzeit ab 8 500 v. Chr. können in der Landschaft von Stonehenge, im Süden Englands, Spuren der ersten Jäger und Sammler nachgewiesen werden. Es gab hier warme Quellen - wenige Kilometer von dem Ort entfernt, wo später Stonehenge entstand -, ein immergrünes Gebiet, das Wildtiere vor allem in den kalten Jahreszeiten aufsuchten. Über Jahrtausende bis etwa 4300 v. Chr. zog dieses Gebiet - Blick Mead genannt - Jäger an . Sie bauten hier immer wieder saisonale Unterstände und errichteten Totems.

Wenige Jahrhunderte, nachdem sich die letzten Spuren der Jäger verloren, die Landverbindung zum Kontinent durch den steigenden Wasserspiegel im Meer versank, fanden in der Landschaft von Stonehenge Feste neuer vom Kontinent eingewanderter Bevölkerungsgruppen statt. Wo deren Siedlungen lagen, ist bis heute unbekannt, wir kennen aber die monumentalen Erdwerke und Grabanlagen, die sie im 4. Jahrtausend v. Chr. errichteten (siehe unten: Identifizierung und 3D-Visualisierung eines Gemeinschaftsgrabes).

Stonehenge – prähistorisches Design der Superlative

"Henges" - Räume, die von einem kreisförmigen oder ovalen Graben mit einem daran anschließenden Erdwall umschlossen wurden - waren prähistorische Kultplätze, von denen es auf den Britischen Inseln viele Beispiele unterschiedlicher Komplexität und Größe gibt und deren Entstehung zwischen 3000 und 2300 v. Chr. datiert wird.

Das bekannteste neolithische Bauwerk der Welt ist die heute noch sichtbare Ruine Stonehenge: es ist eine unvergleichliche Anordnung von kreisförmigen , im Zentrum hufeisenförmigen Steinstrukturen, die sich in der Mitte eines stark erodierten Walls und Grabens erhebt; außerhalb des zentralen Monuments stehen isolierte Steine. Es ist eine Anlage, die beginnend von rund 3000 v. Chr. an über einen Zeitraum von mehr als tausend Jahren in mehreren Phasen gebaut und genutzt wurde. Mit einfachen Werkzeugen wurden die riesigen Steine präzise zugerichtet und sorgfältig zu einem Bauwerk ineinander gefügt, das prähistorische Ingenieurkunst verkörpert und hohe Eleganz ausstrahlt . Abbildung 1.

Abbildung 1. Stonehenge: weltweit bekannteste neolithische Kultanlage und Weltkulturerbe. Der Bau erfolgte über mehr als ein Jahrtausend: in der frühesten Phase um 3000 v. Chr. bestand die kreisförmige Anlage aus einem Erdwall mit einer Einfriedung aus Holzpfosten, hatte einen Durchmesser von rund 115 m und war ein Begräbnisplatz (links unten). Später, ab 2.600 v. Chr. wurden Gruppierungen aus ca 4 t schweren, aufrecht stehenden Steinen ("Blausteinen) errichtet, die aus rund 240 km entfernten Regionen in Wales stammten (unten Mitte). Kreisförmige Strukturen aus 25 - 50 t schweren Sandsteinblöcken (Sarsensteinen) kennzeichnen die 3. Bauphase, von der heute noch die Reste zu sehen sind (unten rechts). Die Anordnung der Steine kennzeichnet den Tag der Sommer- und Wintersonnenwende. Über die Nutzungen als Observatorium und/oder auch als Heilstätte wird diskutiert (Bilder: © LBI ArchPro, Jakob Kainz; ©7reasons).

Die Kultanlage Stonehenge stand allerdings nicht isoliert,

sondern war in eine rituelle Landschaft mit Hunderten von Monumenten eingebettet. Einige davon sind bis heute im Gelände sichtbar, aber weit mehr liegen im Boden verborgen. Diese wurden erst jetzt im Rahmen des Stonehenge Hidden Landscapes Project (SHLP) mit Erkundungsmethoden aus der Luft und modernsten, nicht-invasiven Methoden der Bodenerkundung entdeckt. In diesem bisher größten archäologischem Forschungsprojekt hat das Ludwig Boltzmann Institut für Archäologische Prospektion und Virtuelle Archäologie (LBI ArchPro) gemeinsam mit seiner britischen Partnerinstitution, der Universität Birmingham und internationalen Partnern erstmals den Untergrund rund um Stonehenge auf einer Fläche von 12 Quadratkilometern detailliert "durchleuchtet". Mit großflächigen Messungen des Erdmagnetfelds, 3D-Laserscannern und Bodenradar wurden die im Boden verborgenen archäologische Strukturen aufgespürt und bisher unbekannte Details zu den bereits bekannten Monumenten ans Licht gebracht. Aus Terabytes von so gewonnenen Daten kann nun erstmals eine genaue Karte der archäologischen Landschaft erstellt und deren Entwicklung über die Zeit hin verfolgt werden. Abbildung 2. (Die genannten prospektiven Methoden wurden bereits vorgestellt in: Die zerstörungsfreie Vermessung der römischen Provinzhauptstadt Carnuntum [1]).

Abbildung 2. Eine archäologische Landkarte des rund 12 km2 großen Gebietes rund um Stonehenge herum. Hier eingezeichnet: das bereits früher entdeckte Woodshenge, das riesige Durrington Walls (s.u.) und ein ca 3 km langer, rund 150 m breiter "Cursus", der bereits einige Jahrhunderte vor Stonehenge angelegt wurde und dessen Funktion unbekannt ist. Unten: An Hand der bodenmagnetischen Untersuchungen (links) wurden 17 Henges neu entdeckt (rechts). Diese sind im Bild oben als rote Punkte markiert. (Bilder: © LBI ArchPro, Wolfgang Neubauer und © LBI ArchPro, Mario Wallner)

Das Stonehenge Hidden Landscapes Project (SHLP): neue Kapitel in der Geschichte von Stonehenge

Die neuen Entdeckungen im Rahmen des SHLP umfassen Henge-Monumente (Abbildung 2), Einfriedungen, Palisadengräben, Grabbauten und Tausende von Menschen gegrabene Gruben. Davon sollen hier nur zwei der spektakulärsten Entdeckungen kurz beschrieben werden.

Identifizierung und 3D-Visualisierung eines Gemeinschaftsgrabes

Zahlreiche, durch die Landwirtschaft bereits eingeebnete Grabhügel konnten identifiziert und im Detail erkundet werden: zwischen 3 800 und 3 500 v. Chr. errichteten die ersten Bauern und Viehzüchter Gemeinschaftsgräber für ihre Toten, sogenannte long barrows. Dies waren lange Hügel aufgeschichtet aus Erde und Kreidegestein, die hausartige Grabkammern aus Holz oder Stein überdeckten. Wie ein derartiges Totenhaus im Detail ausgesehen haben mag, kann an Hand der Visualisierung eines 2,6 km von Stonehenge entfernten long barrow aufgezeigt werden, das in der ersten Hälfte des vierten Jahrtausends v. Chr. entstanden sein dürfte. (Abbildung 3).

In den Bodenradarmessungen zeichnet sich die Form eines hölzernen Langhauses von über 30 m Länge ab und in dessen Inneren zahlreiche einzelne Bestattungskammern. Der Zugang wurde durch einen massiven Pfosten blockiert, sodass nur ein schmaler Durchgang in das Innere offen blieb. Die zangenförmig ausgreifende hölzerne Fassade umschloss einen Vorplatz, der Raum für Totenrituale bot.

Abbildung 3. Ein Haus für die Toten - ein sogenannter long barrow. Daten aus geophysikalischen Untersuchungen (oben links), Interpretation und 3D-Rekonstruktion. (Bilder: © LBI ArchPro, Joachim Brandtner)

Das Superhenge Durrington Walls

3 km nordöstlich von Stonehenge liegt dieses seit langem bekannte, prähistorische Monument, das größte Henge Englands mit über 500 m Durchmesser (im Vergleich dazu hatte Stonehenge einen Durchmesser von "nur" 115 m). Es besteht aus einem tiefen, innen liegenden Graben mit bis zu 17 m Breite begleitet von einem außen liegenden Wall. Zwei Pfostenkreise und kleinere Einfriedungen im 20 Hektar großen Innenraum waren der Mittelpunkt für saisonale Zeremonien und Feste (man hat dort große Mengen an Keramik und Tierknochen gefunden). Das Superhenge besaß einen nach Südosten gerichteten Eingang, von dem aus eine zur Wintersonnenwende ausgerichtete Avenue zum Fluss Avon führte.

Unter dem Wall verborgen liegen die Ruinen einer älteren Siedlung und die kürzlich vom SHLP mittels Bodenradarmessungen entdeckten Reste eines weit älteren, spektakulären Monuments. Es sind dies die Überreste des ersten großen Steinmonuments in der Landschaft von Stonehenge. Um die natürliche Senke, in der später das Henge errichtet wurde, hatte man bis zu 200 tonnenschwere, bis zu viereinhalb Meter hohe Steine in einer langen, C-förmigen Reihe aufgerichtet. Manche der Steine wurden dann spätestens um 2600 v. Chr. umgestoßen, einige liegen unter der Wallaufschüttung verborgen. Die größten davon haben die Dimension der Monolithen im äußeren Steinkreis von Stonehenge, andere sind gebrochen, die meisten wurden aber entfernt und können nur durch die großen Fundamentgruben nachgewiesen werden (möglicherweise dienten sie als Baumaterial für das später entstandene Stonehenge). Abbildung 4.

Abbildung 4. Durrington Walls, die (vermutlich) weltweit größte neolithische Henge-Anlage. Oben links: Visualisierung des riesigen Walls, des innenliegenden Grabens und der zwei Pfostenkreise. Oben rechts und unten: Wie die durch Bodenradarmessungen unter dem Wall entdeckte lange Steinreihe ausgesehen haben mag. (Bilder: © LBI ArchPro, Juan Torrejón Valdelomar, Joachim Brandtner)

Fazit

Modernste naturwissenschaftliche Untersuchungsmethoden revolutionieren die archäologische Forschung. Die vom LBI ArchPro entwickelten Techniken - vor allem Messungen mittels Bodenradar und hochauflösenden Magnetometern - bieten noch nie dagewesene Möglichkeiten ganze Landschaften systematisch und zerstörungsfrei auf die im Boden verborgenen Überreste früherer Kulturen zu durchleuchten und diese zu rekonstruieren. Das bisher größte archäologische Forschungsprojekt - "Stonehenge Hidden Landscape Project" - hat nun erstmals zu einer detaillierten Landkarte einer prähistorischen Landschaft geführt: eine Vielzahl neuer Monumente wurde rund um Stonehenge entdeckt, ebenso wie neue, den Archäologen bis dato unbekannte Arten von Monumenten. Über die Bedeutung und Funktion vieler dieser Denkmäler kann zur Zeit nur spekuliert werden.

Wie diese prähistorische Landschaft ausgesehen hat, kann nun in einer weltweit erstmaligen Ausstellung Stonehenge. Verborgene Landschaft im Museum Mistelbach bis 27.11. 2016 besichtigt werden (Details: [2], [3])). Aufwendige Visualisierungen vermitteln einen dreidimensionalen Eindruck der Landschaft von Stonehenge und der faszinierenden Kultdenkmäler, inklusive der neuesten Forschungsergebnisse zum noch viel größeren und älteren Steinkreis bei Durrington Walls. Ohne dafür die Kultstätte selbst bereisen zu müssen, lassen maßstabsgetreue, auf 3D-Laserscandaten basierende Rekonstruktionen der Steine die Größe und Dimension dieses Kultmonuments erfahren,


[1] Wolfgang Neubauer, 01.07.2016: Die zerstörungsfreie Vermessung der römischen Provinzhauptstadt Carnuntum. .

[2] Museum Mistelbach: Stonehenge. Verborgene Landschaft.

[3] Stonehenge. A Hidden Landscape - Exhibition Mamuz Museum: Video 8:50 min


Weiterführende Links

Ludwig Boltzmann Institute for Archaeological Prospection and Virtual Archaeology: http://archpro.lbg.ac.at Videos: LBI ArchPro - Durrington Walls new Stones: 1:20 min, Stonehenge Royal Society: 6:25 min Ground penetrating radar at Stonehenge: 2:34 min

BBC Operation Stonehenge What Lies Beneath 2of2 720p HDTV x264 AAC MVGroup org: 1:24:16