SARS-CoV-2: in Zellkulturen vermehrtes Virus kann veränderte Eigenschaften und damit Sensitivitäten im Test gegen Medikamente und Antikörper aufweisen

Do, 27.05.2021 — Redaktion

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 Um im Laborexperiment herauszufinden ob ein Medikament oder ein Impfstoff die Vermehrung von SARS-CoV-2 stoppen kann, benötigt man große Mengen des Virus, die üblicherweise in Zellkulturen hergestellt werden. Als Standard dienen hier häufig sogenannte Vero-Zellen der Grünen Meerkatze, an die sich das Virus allerdings durch Mutationen und Deletionen im essentiellen Spike-Protein anpasst. Bei den so entstehenden neuen Varianten können sich Pathogenität, Übertragungseigenschaften und Empfindlichkeit gegenüber antiviralen Arzneimitteln und Antikörpern von denen des Wildtyp-Virus unterscheiden und damit die Testergebnisse ungültig machen.. Eine eben im Journal e-Life erschienene Studie stellt eine aus dem menschlichen Atemwegstrakt hergestellte Zelllinie (Calu-3) vor, die zu keinen derartigen Veränderungen des Spike-Proteins führt und somit ein verbessertes System für die Produktion eines für Wirksamkeitstestungen dringend benötigten möglichst authentischen Virus darstellt .*

Rastlos sind Forscher auf der ganzen Welt bestrebt die Biologie verschiedener SARS-CoV-2-Varianten zu verstehen, um neue Therapeutika zu entwickeln und der COVID-19-Pandemie ein Ende zu setzen. Der Prozess beginnt im Labor mit sorgfältigen Experimenten, um zu beurteilen, ob ein Medikament die Replikation von SARS-CoV-2 in Zellen, die in Kulturflaschen angesetzt sind, stoppen kann oder ob ein Impfstoff die Krankheit in einem Tiermodell verhindern kann. Solche Experimente erfordern jedoch große Mengen des SARS-CoV-2 Virus und die Authentizität dieser Stamm-Menge an Virus (das normalerweise in tierischen Zelllinien kultiviert wird) ist von größter Bedeutung, um die Gültigkeit der Testergebnisse sicherzustellen.

Herstellung von SARS-CoV-2 in großen Mengen...........

Die Standard-Prozedur zur Herstellung von SARS-CoV-2-Beständen nützt die  Vero-Zelllinie (aus Nierenzellen, die vor fast 60 Jahren von einer afrikanischen Grünen Meerkatze isoliert wurden). Diese Zellen sind sehr anfällig für Viren, da ihnen sogenannte Interferon-Zytokine vom Typ I fehlen, d.i. einer wichtigen Gruppe von Signalproteinen, die von Zellen in Gegenwart von Viren freigesetzt werden. Verozellen werden bevorzugt für die Isolierung und Vermehrung vieler Viren gewählt, da sie gut charakterisiert und leicht zu halten sind, adhärente Kulturen bilden (d.i. an Kulturschalen haften) und bei Infektionen sichtbare strukturelle Veränderungen aufweisen. Wie Viren, die auf natürliche Weise in menschlichen Populationen zirkulieren, neigen allerdings auch im Labor gezüchtete Viren dazu, sich zu verändern und an die jeweilige Umgebung anzupassen, in der sie sich gerade befinden.

...........in Vero-Zellen kann zu Mutationen und Deletionen im Spike-Protein führen.......

Eine frühe Studie, die seitdem auch von Anderen repliziert wurde, hat ergeben, dass Stamm-Mengen von SARS-CoV-2, die in von Vero-Zellkulturen kultiviert wurden, häufig Mutationen oder Deletionen im Spike-Gen aufweisen (das entsprechende Spike-Protein ist für das Andocken des Virus an die Wirtszellen und das nachfolgende Eindringen in die Zellen verantwortlich; Anm. Redn). Diese Deletionen entfernen eine wichtige Region auf dem Spike-Protein, die als mehrbasige Spaltstelle bezeichnet wird und die Fähigkeit des Virus beeinflusst, menschliche Atemwegszellen zu infizieren. Derartige Viren verhalten sich daher in mehrfacher Hinsicht nicht wie ein authentisches SARS-CoV-2: Sie weisen eine niedrigere Pathogenität auf, sind nicht übertragbar und zeigen eine veränderte Empfindlichkeit auf die Hemmung durch antivirale Interferon-stimulierte Gene und Antikörper von Patienten.

.........und damit zu veränderten Sensitivitäten gegen Medikamente und Antikörper

Diese Eigenschaften können die Interpretation von Laborexperimenten erschweren, in denen von Vero-Zellen produzierte Viren zur Bestimmung der Wirksamkeit von experimentellen Arzneimitteln oder Impfstoffen verwendet werden. Bei Impfstoffen mit inaktiviertem SARS-CoV-2, das in Vero-Zellen hergestellt wurde, könnte die Fähigkeit zur Stimulierung richtiger Antikörperreaktionen ebenfalls teilweise beeinträchtigt sein (auch, wenn es dafür noch keine formelle Bestätigung gibt).

Nun berichten im Journal eLife Bart Haagmans und Kollegen vom Erasmus Medical Center (Rotterdam) und der Universität Illinois (Urbana-Champaign) mit Mart Lamers als Erstautor [1] über einfache Methoden zur Herstellung von SARS-CoV-2 Stamm-Mengen in menschlichen Zellen, die Mutationen und Deletionen im für das Spike-Protein kodierenden Gen verhindern (Abbildung 1).

Abbildung 1: Schematische Darstellung einer von einem Patienten stammenden SARS-CoV-2-Pprobe, die unter Verwendung der Vero-Zelllinie (die vor fast 60 Jahren aus einem afrikanischen Grünen Meeraffen isoliert wurde; oben) oder der Calu-3-Zelllinie (die eine menschliche Zelllinie ist; s.u.) passagiert wurde. Den Verozellen fehlt eine Serinprotease namens TMPRSS2, die benötigt wird, damit das Virus über die Plasmamembran in die Wirtszellen eindringen kann. Bestimmte SARS-CoV-2-Varianten mit Deletionen im Spike-Protein (rot dargestellt) können jedoch über einen anderen Weg in Vero-Zellen eindringen. Für diese Varianten wird daher selektiert und sie beginnen die Viruspopulation zu dominieren. Die Pathogenität, Übertragungseigenschaften und Empfindlichkeit der Varianten gegenüber antiviralen Arzneimitteln und Antikörpern unterscheiden sich von denen des Wildtyp-Virus. Calu-3-Zellen weisen keinen Mangel an TMPRSS2 auf, so dass die Authentizität des Spike-Gens erhalten bleibt, und Studien mit solchen Virusbeständen ahmen die Biologie des menschlichen Virus genauer nach. (Bild: aus [1], erzeugt mittels BioRender.com).

Vorerst haben Lamers et al. eine Methode namens Deep Sequencing verwendet, um zu bestätigen, dass wiederholtes Passagieren (Umsetzen) von SARS-CoV-2 in Vero-Zellen zu einer Zunahme von viralen Genomen führt, die Mutationen oder Deletionen in der wichtigen Region des Spike-Gens aufweisen. Werden weniger empfindliche Sequenzierungsmethoden benutzt oder verlässt man sich auf „Konsensus-Sequenzen“, so kann dies den falschen Eindruck erwecken, dass solche Deletionen fehlen.

In Folge haben Lamers et al. dann festgestellt, wie diese Spike-Deletionen für bestimmte SARS-CoV-2-Varianten einen replikativen Vorteil in Vero-Zellen verschaffen, der es ihnen ermöglicht, die Viruspopulation zu dominieren. Vero-Zellen fehlt eine Serinprotease, die SARS-CoV-2 aber benötigt, um durch die Plasmamembran in Zellen des menschlichen Atemwegs einzudringen. SARS-CoV-2-Varianten mit Deletionen im Spike-Gen nutzen jedoch einen anderen Weg (Endozytose genannt), um in Vero-Zellen einzudringen. Offenbar ermöglicht die Fähigkeit der Varianten diese zweite Eintrittsroute zu nutzen, dass sie dominieren, wenn Vero-Zellen verwendet werden.

Die Calu-3-Zelllinie, eine bessere Alternative

Als nächstes stellte sich die Frage, ob eine Zelllinie des menschlichen Atemwegs, Calu-3, eine bessere Alternative zur Kultivierung von SARS-CoV-2 sein könnte, da diese Zelllinie die notwendige Protease besitzt. Tatsächlich stellte es sich heraus, dass ein wiederholtes Passagieren von SARS-CoV-2 in Calu-3-Zellen die Akkumulation von Mutationen und Deletionen im Spike-Gen von SARS-CoV-2 verhinderte. (Dies war auch in Vero-Zellen der Fall, wenn sie durch genetische Manipulation zur Expression der Serinprotease befähigt wurden). Darüber hinaus eigneten sich Calu-3-Zellen genauso gut wie Vero-Zellen, um die für nachfolgende Experimente erforderlichen, großen Virusmengen zu produzieren. Dass durch deep sequencing die Authentizität der auf diese Weise hergestellten Stamm-Mengen von SARS-CoV-2 bestätigt wird, lässt die Interpretation nachfolgender Experimente verlässlich erscheinen.

Fazit

Die Ergebnisse dieser Studie sind ein überzeugendes Argument für SARS-CoV-2-Forscher, dass sie die Genomsequenzen der von ihnen produzierten Stamm-Mengen des Virus gründlich charakterisieren (und eine Sequenzierung von Konsensus-Sites vermeiden). Darüber hinaus sollten Forscher die Zellen, die Wachstumsmedien und die für die Virusproduktion verwendeten Additive berücksichtigen, um artifizielle Anpassungen von SARS-CoV-2 an die Kulturbedingungen zu verhindern, die sich auf die Beurteilung der Wirksamkeit von Arzneimitteln oder Impfstoffen auswirken könnten.

Zellkultursysteme zur Vermehrung von Viren sind der Dreh- und Angelpunkt der Virologie, dennoch haben sie seit den Anfängen des Fachgebiets keine wirkliche Abänderung erfahren. Die Anwendung moderner technologischer Neuerungen wie rationale Geneditierung in Zellen oder die Verwendung von in vivo-ähnlichen organoiden Gewebemodellen verspricht diesen kritischen Aspekt der Virologie zu transformieren. Dies sollte es Forschern ermöglichen, ihre Methoden auf den aktuellen Stand zu bringen, um Authentizität n ihren Experimenten beizubehalten.


[1] Mart M. Lamers et al., Human airway cells prevent SARS-CoV-2 multibasic cleavage site cell culture adaptation. eLife 2021;10:e66815. DOI: https://doi.org/10.7554/eLife.66815


*Der vorliegende Artikel von Benjamin G. Hale ist am 18. Mai 2021 unter dem Titel "COVID-19: Avoiding culture shock with the SARS-CoV-2 spike protein" im Journal eLife erschienen: https://doi.org/10.7554/eLife.69496, Der unter einer cc-by 4.0 stehende Artikel wurde möglichst wortgetreu von der Redaktion übersetzt.


Das Spike-Protein im ScienceBlog