Labortests: wie gut schützen Impfung und Genesung vor der Omikron-Variante von SARS-CoV-2?

Sa. 11.12.2021  — Inge Schuster

Inge Schuster Icon Medizin Die neue, von der WHO als besorgniserregend eingestufte Omikron-Variante von SARS-CoV-2 breitet sich auch in Ländern mit hoher Durchimpfungsrate rasant schnell aus. Omikron weist eine ungewöhnlich hohe Zahl an Mutationen auf, insbesondere am Spikeprotein mit dem das Virus an unsere Zellen andockt und gegen das - durch Impfung - die schützende Immunantwort im Organismus erzeugt werden soll. Mehrere präliminäre Berichte aus den letzten Tagen zeigen übereinstimmend, dass bei Geimpften die Antikörper gegen Omikron sehr viel schwächer wirken als gegen die bisherigen Varianten, inklusive der derzeit noch dominierenden Delta-Variante und ein Booster nach der Zweifach-Impfung dringend angezeigt ist. In Hinblick auf die T-Zellantwort spielen die Mutationen offensichtlich (noch) keine Rolle, bei Geimpften sollte auch die Omikron-Variante von den T-Zellen erkannt werden.

Es sind gerade vier Wochen her, dass eine neue SARS-CoV-2-Variante in Botswana und Südafrika identifiziert wurde, die sich rasant verbreitet und von der WHO bereits am 26. November 2021 als besorgniserregende Variante ("variant of concern" -VOC) eingestuft wurde. Inzwischen hat diese mit Omikron bezeichnete Variante B.1.1.529 bereits globale Verbreitung gefunden und ist in mehr als 55 Staaten (darunter in 21 Ländern der EU; Status 8.12.2021) nachgewiesen worden. Basierend auf Analysen gehen Risikoeinschätzungen in UK davon aus, dass Omikron dort innerhalb der nächsten 2 - 4 Wochen als dominierende Variante die Delta-Variante ablösen wird.

Eine ungewöhnlich hohe Zahl an Mutationen

Im Vergleich mit den bisherigen Varianten weist das Omikron Genom eine ungewöhnlich hohe Zahl an Mutationen auf. Gegenüber dem ursprünglichen, aus Wuhan stammenden Virus, sind es 60 Mutationen, wobei 32 davon das an der Virusoberfläche sitzende Spikeprotein betreffen, mit dem dieses an unsere Körperzellen andockt. Abbildung 1. Dieses Spikeprotein spielt die zentrale Rolle bei den derzeit zugelassenen Vakzinen und Antikörpern, die bis jetzt höchst erfolgreich vor symptomatischen Infektionen mit den im Verlauf der Pandemie neu entstandenen SARS-CoV-2- Varianten - von Alpha bis Delta - schützen.

Abbildung 1. Das Spikeprotein in seiner Struktur als Trimer mit den Positionen der Omikron Mutationen von oben in Richtung Membran gesehen Die Domäne, mit der das Protein an den Rezeptor (ACE-2) auf unseren Zellen andockt ist im hellblauen und grauen Monomer nach oben, im dunkelblauen Monomer nach unten gerichtet. 15 der insgesamt 32 Mutationen des Monomers liegen in der jeweiligen Bindungsdomäne. Aminosäure-Substitutionen: gelb, Deletionen: rot, Insertionen: grün. Bild: https://commons.wikimedia.org/wiki/User: Opabinia_regalis. Lizenz: cc-by-sa. 4.0

Neutralisationstest und .....

Die Vielzahl der Mutationen, welche die neue Variante an entscheidenden Positionen des Spikeproteins aufweist und die rasante Verbreitung auch in Staaten mit hoher Durchimpfungsrate (wie den UK) haben die Frage aufgeworfen, wieweit dagegen einsetzbare Vakzinen/Antiköper überhaupt noch einen Schutz bieten können. Mit Laborexperimenten - sogenannten Neutralisationstests (NT) - war man überzeugt bereits in wenigen Wochen dazu Informationen zu erhalten: Sind Antikörper im Serum Geimpfter noch in der Lage die neue Variante zu blockieren und am Eintritt in Wirtszellen zu hindern, so sollte dies zu einer Reduktion der Virusvermehrung führen. Eine Maßzahl dafür ist der Neutralisationstiter - NT50- : dazu wird eine Serumprobe schrittweise verdünnt (1:2, 1:4, 1:8, 1:16,......) und in Zellkulturen gegen das Virus getestet bis zur Verdünnung, bei der die Virusvermehrung um 50 % reduziert wird. Mehrere Forscherteams haben sich sofort an diese überaus dringende Aufgabe gemacht.

.....in vitro Untersuchungen zur Wirksamkeit von Seren Geimpfter

2 Wochen später erleben wir nun ein Stakkato an Ergebnissen. Diese sind wohl präliminär - es sollten ja so schnell als möglich Daten generiert werden -, wurden erst auf Seiten wie bioRxiv oder medRxiv (vorerst sogar nur auf Twitter) mitgeteilt, sind natürlich noch keinem peer review unterzogen worden und mit einigen "caveats" zu betrachten. Aber, auch wenn die Testmethoden der einzelnen Teams unterschiedlich waren, so zeigen sie übereinstimmend, dass die Antikörperantwort gegen Omikron bei Geimpften sehr viel schwächer ausfällt als gegen die bisherigen Varianten, inklusive der derzeit noch dominierenden Delta-Variante.

Daten aus Südafrika

Am Dienstag (7.12.2021) hat ein Team um Alex Sigal in Durban, Südafrika Daten vorgelegt, in denen sie die Neutralisierung von authentischen Omikron-Viren in Lungenzellen, die den SARS-CoV-2-Rezeptor ACE-2enthielten, durch die Antikörper im Plasma von 12 mit der Pfizer/Biontech-Vakzine geimpften Personen (rund 2 - 4 Wochen nach der Impfung) untersuchten; 6 dieser Personen hatten (mehr als ein Jahr) zuvor eine Infektion mit COVID-19 durchgemacht. Das niederschmetternde Ergebnis: die neutralisierende Wirkung der Antikörper war um das 41-Fache reduziert. Allerdings gingen die zuvor Infizierten und dann Geimpften von einer rund 100-fach höheren neutralisierenden Wirkung aus [1].

Daten aus Schweden

Ebenfalls am 7.12.2021 hat eine Gruppe um D. Murrell vom Karolinska Institut in Stockholm Daten aus einem Pseudovirus-Test präsentiert [2]. Es handelte sich dabei um die Neutralisierung eines Lentivirus, das mit einem alle Mutationen der Omikron Variante enthaltenden Spikeprotein-Fragment bestückt war. Das Plasma stammte von geimpften Blutspendern (n = 17) und von Krankenhausbediensteten (n = 17), die nach einer COVID-19 Infektion geimpft worden waren. Auch hier wurde ein, im Vergleich zum Wuhan Wildtyp und auch zur Delta-Variante, deutlicher Rückgang der Antikörperwirkung beobachtet, wobei allerdings dessen Ausmaß enorm variierte. Frühe Plasmaproben, die zur Standardisierung des Tests dienten - sogenannte WHO Neutralisierungs-Standards - zeigten eine 40-fache Reduktion der Antikörperwirkung gegen Omikron verglichen mit dem Wuhan-Virus.

Daten aus Frankfurt

Am 8. Dezember hat das Team um Sandra Ciesek vom Institut für Medizinische Virologie der Universität Frankfurt einen ausführlichere Studie mit SARS-CoV-2-Isolaten der Delta- und Omikron-Varianten in medRxiv vorgestellt [3]. Die Omikron-Variante war aus Nasen-Rachen Abstrichen eines infizierten Heimkehrers aus Südafrika isoliert worden. Serumsproben von Personen, die nach verschiedenen Schemata mit den Vakzinen von Pfizer/Biontech (BNT162b2) , von Moderna (mRNA1273) und AstraZeneca (ChAdOx1) geimpft worden waren, wurden auf ihre Fähigkeit die beiden Varianten zu neutralisieren getestet. Abbildung 2.

Abbildung 2. Antikörper-vermittelte Neutralisierung der Delta Variante graue Punkte)und Omikron-Variante(rote Punkte)nach verschiedenen Impfschemata: 6 Monate nach Zweifachimpfung, Dreifachimpfung 0,5 Monate nach Booster und 3 Monate nach Booster (nur BNT) und nach 6 - 7 Monate nach Infektion und Doppelimpfung (nur BNT). NT50: Serum-Titer bei dem 50 % des Virus neutralisiert sind. %-Angaben: Anteil der Serumproben, die einen meßbaren Titer zeigten. X-fache Reduktion: NT50- Delta - NT50-Omikron. (Quelle: Bilder A, B und C von Figure 1 aus [3]; Lizenz: cc-by-nd)

Generell war die Wirksamkeit gegenüber der Omikron-Variante bedeutend niedriger als gegen die Delta-Variante. Gleichgültig mit welchen Vakzinen 2 mal geimpft worden war, ließ sich 6 Monate danach keine Neutralisierung der Omikron Variante nachweisen; auch die Wirkung gegen die Delta-Variante war stark reduziert: 47 % der Serumproben nach Doppelimpfung mit Biontech/Pfizer, 50 % nach 2 x Moderna und 21 % nach der heterologen Impfung mit AstraZenca/Pfizer hatten noch messbare Titer. (Abbildung 2. A,B,C).

2 Wochen nach dem dritten Stich mit BNT162b2 war die Antikörperwirksamkeit NT50 stark angestiegen, allerdings für die Omikron-Variante 37 mal niedriger als für die Delta-Variante; während 100 % der Serumsproben gegen die Delta-Variante messbare Titer hatten, waren es nur 58 % gegen die Omikron-Variante. 3 Monate nach dem dritten Stich hatten noch 95 % der Seren messbare Titer gegen Delta, aber nur mehr 25 % gegen Omikron. Die Seren Genesener hatten nach Aussage der Autoren nur geringe Wirksamkeit gegen beide Varianten [3]; nach dem Boostern stieg diese im Mittel stark an (die Streuung ist allerdings sehr groß), aber auch in diesem Fall hatten nur 25 % messbare Titer gegen Omikron (alles Abbildung 2 A).

Auch im Fall der 2-fach Impfung mit Moderna oder mit AstraZeneca/Pfizer brachte das Boostern mit jeweils Pfizer einen starken Anstieg der Wirkung gegen beide Varianten. 2 Wochen nach dem 3. Stich hatten 78 % der Seren nach 2 x Moderna/Pfizer und 38 % nach AstraZeneca/2 x Pfizer messbare Titer gegen Omikron (Abbildung 2, B und C). Ergebnisse nach längeren Zeitintervallen sind offensichtlich noch nicht vorhanden.

Zwei derzeit gegen COVID-19 therapeutisch eingesetzte monoklonale Antikörper- Imdevimab und Casirivimab - verhindern zwar effizient die Infektion mit der Delta-Variante, sind aber aber auf Grund einer Mutation im Bindungsbereich gegen die Omikron-Variante völlig wirkungslos [3].

Daten aus China

Ein großes Team um Yunlong Cao von der Peking University, der Chinesischen Akademie der Wissenschaften und anderen Institutionen hat insgesamt 247 gegen die Bindungsdomäne des Spikeproteins gerichtete, neutralisierende Antikörper auf Wirksamkeit gegen die Omikron-Variante untersucht [4]. Diese Antikörper waren aus den Seren Geimpfter und Genesener isoliert worden. Wie die Forscher in einem preprint in medRxiv am 9.12.2021 berichten, versagten 85 % dieser Antikörper auf Grund der zahlreichen Mutationen der Omikron-Variante, ebenso wie eine Reihe therapeutischer Antikörper-Cocktails. Nur gegen eine konservierte Region des Spikeproteins gerichtete Antikörper zeigten Wirksamkeit.

Anmerkung: Die Ergebnisse bieten eine Anleitung, um wirksame Vakzinen und Antikörper-Cocktails gegen Omikron und auch gegen zukünftige Corona-Varianten zu entwickeln.

Meldung von Pfizer

Am 8.12. hat auch Pfizer in einer Aussendung zur Wirksamkeit seines Impfstoffs gegen die Omikron-Variante Stellung genommen [5]. Serumproben von 2 mal mit BNT162b2 Geimpften wurden nach 3 Wochen , von 3 mal Geimpften einen Monat nach der 3. Dosis genommen, der Antikörper Titer gegen das Spikeprotein des Wuhan-Wildtyps und gegen die Omikron-Variante in einem Pseudovirus-Neutralisierungstest bestimmt (siehe oben). Nach dem 2. Stich war der Titer gegen Omikron 25-fach niedriger als gegen den Wildtyp; der dritte Stich führte zu einer 25-fachen Erhöhung der Wirksamkeit (allerdings ist die Wirkung gegen die Deltavariante 2,6-mal höher als gegen Omikron).

Anmerkung: wie lange die Antikörperwirkung anhält, ist noch nicht untersucht. Den Daten des Frankfurter Teams zufolge, ist bereits nach 3 Monaten mit einer starken Reduktion zu rechnen (Abbildung 2A).

Pfizer hat am 25.11.2021 mit der Entwicklung einer Omikron spezifischen Vakzine begonnen. Abhängig von den Bescheiden der Behörden rechnet Pfizer mit deren Verfügbarkeit im März 2022 [5].

Impfschutz vor Omikron durch die T-Zell Antwort

Auf eine Impfung/Infektion antwortet unser Immunsystem mit einer Reihe von Abwehrstrategien. Neben der Bildung von Antikörpern, die im Blutplasma transportiert das Eindringen und die Ausbreitung der Erreger im Körper blockieren, wird auch die zelluläre Abwehr durch T-Zellen (T-Lymphozyten) stimuliert. Wird im gegebenen Fall als Folge der Impfung/Infektion nun das Spikeprotein produziert, so wird es in unseren sogenannten Antigen-präsentierenden Zellen in kleine Bruchstücke abgebaut und diese an der Zelloberfläche präsentiert. Cytotoxische T-Zellen (CD8+ T-Zellen), die genau an verschiedene Bereiche (Epitope) des Spikeproteins angepasst sind, erkennen die präsentierten Bruchstücke als fremd und lösen über eine Signalkaskade die Zerstörung der Zellen aus. Solche Cytotoxische Zellen entstehen bereits wenige Tage nach der Infektion/Impfung (früher als Antikörper) und können in langlebige Gedächtniszellen umgewandelt werden, um bei späteren Infektionen mit dem Pathogen wieder aktiviert zu werden.

Abbildung 3. Aminosäuresequenz für das Spikeprotein des ursprünglichen Wuhan-SARS-CoV-2 Virus. Die CD8+ Epitope sind hellgrün hervorgehoben, alle Mutationen und Deletionen (durchgestrichen) durch große blaue Buchstaben gekennzeichnet. Aminosäuren sind abgekürzt als Einbuchstabencode. (Quelle: Redd et al., [6], Lizenz: cc0).

Die zahlreichen Mutationen der Omikron-Variante im Spikeprotein haben zum massiven Wirkungsverlust der gegen frühere Varianten erzeugten Antikörper geführt. Ob diese Mutationen auch in Epitopen der T-Zell Antwort auftreten und diese kompromittieren, wurde von einem Team am National Institute of Allergy and Infectious Diseases der NIH und an der John Hopkins University (Baltimore) untersucht und am 9.12.2021 als preprint in bioRxiv veröffentlicht [6]:

Periphere mononukleare Blutzellen von 30 Genesenen, die im Jahr 2020 an Covid-19 erkrankt waren, dienten als Ausgangsmaterial für die umfangreiche Analyse. Diese prüfte ob Epitope des Virus, gegen welche die CD8+ -Zellen generiert worden waren, nun in der Omikron-Variante Mutationen aufweisen würden. Unter den 52 identifizierten Epitopen gab es nur eines, das in der Omikron-Variante eine mutierte Aminosäure enthält. Abbildung 3.

SARS-CoV-2 hat derzeit also noch keine T-Zell Fluchtmutationen entwickelt. Bei praktisch allen Personen mit einer aufrechten CD8+ T-Zell Antwort gegen SARS-CoV-2 nach Impfung/Infektion sollte auch die Omikron-Variante erkannt werden.


[1] Sandile Cele et al.,; SARS-CoV-2 Omicron has extensive but incomplete escape of Pfizer BNT162b2 elicited neutralization and requires ACE2 for infection. medRxiv 2021.12.08.21267417; https://doi.org/10.1101/2021.12.08.21267417

[2] Daniel E, Sheward et al.,: Preliminary Report - Early release, subject to modification. Quantification of the neutralization resistance of the Omicron Variant of Concern. https://tinyurl.com/ycx4x4d4

[3] A. Wilhelm et al., Reduced Neutralization of SARS-CoV-2 Omicron Variant by Vaccine Sera and monoclonal antibodies. doi: https://doi.org/10.1101/2021.12.07.21267432

[4] Yunlong Cao et al.,: B.1.1.529 escapes the majority of SARS-CoV-2 neutralizing antibodies of diverse epitopes. doi: https://doi.org/10.1101/2021.12.07.470392  

[5] Pfizer and BioNTech Provide Update on Omicron Variant. https://www.businesswire.com/news/home/20211208005542/en/

[6] Andrew D Redd et al., Minimal cross-over between mutations associated with Omicron variant of SARS-CoV-2 and CD8+ T cell epitopes identified in COVID-19 convalescent individuals. doi: https://doi.org/10.1101/2021.12.06.471446

 


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