Pubertät - Baustelle im Kopf

Sa, 19.08.2017 - 10:33 — Nora Schultz

Nora SchultzIcon Gehirn

Selten verändern sich neuronale Strukturen so sehr wie in der Pubertät. Die Generalüberholung gipfelt in einem hocheffizienten Denkorgan. Doch während der Umbauarbeiten herrscht vorübergehend Chaos. Die Entwicklungsbiologin Nora Schultz erzählt hier über massive Umbauten im jugendlichen Gehirn, in denen Graue Substanz verloren geht, weil überflüssige Synapsen ausgemerzt werden, weiße Substanz zunimmt, weil immer mehr Axone von effizienzsteigernden Myelinscheiden umhüllt werden*.

Wenn eine Raupe zum Schmetterling reift, löst sie sich im Puppenstadium dabei vorübergehend fast vollständig auf. Beim Menschen erscheint der Übergang vom Kinder- ins Erwachsenenleben auf den ersten Blick weniger dramatisch. Zwar sprießen plötzlich Körperhaare, Pickel oder auch Brüste, verrutscht die Stimme und fließen allerlei neue Säfte, doch der radikale Umbau, den das Insekt durchmachen muss, bleibt dem metamorphosierenden Menschenkind erspart – dachte man.

Bis in die 1970er Jahre hinein galt die Gehirnentwicklung mit Abschluss des starken Kopfwachstums in der früheren Kindheit als weitgehend beendet. Doch auch wenn das Gehirn nach dem sechsten Lebensjahr nicht mehr viel wächst, weiß man inzwischen, dass seine Struktur und Funktion sich auch danach noch massiv verändern – gerade in der Pubertät.

Der erste systematische Einblick

in diesen Prozess gelang dem US-amerikanischen Neurowissenschaftler Jay Giedd von der University of San Diego in Kalifornien, als er 1989 mit seinen damaligen Kollegen vom National Institute of Mental Health in Bethesda begann, die Gehirne hunderter Kinder alle zwei Jahre mit einer Magnetresonanztomorgrafie (MRT) zu untersuchen, um zu verfolgen, wie Hirnstrukturen sich im Laufe der Zeit verändern. Inzwischen können die Forscher auf 1171 Scans von 618 sich normal entwickelnden jungen Menschen im Alter von 5 bis 25 Jahren zurückblicken. Was sie dort während der Teenage-Jahre fanden, sind Umbauten, die der Verwandlung im Innern der Schmetterlingspuppe kaum nachstehen.

Das pubertierende Gehirn

löst sich zwar nicht auf, aber es kommt ihm zunehmend graue Substanz abhanden, also die Anteile im Gehirn, die vornehmlich aus Nervenzellkörpern bestehen. Vor allem der Cortex dünnt sich ab ungefähr dem 10. Lebensjahr stark aus. Das liegt weniger an absterbenden Zellen als daran, dass massenhaft Synapsen, die Kontaktstellen zwischen den Zellen, verloren gehen – und zwar vor allen solche, die wenig genutzt werden.

Gleichzeitig nimmt die weiße Substanz im Gehirn weiter zu: Oligodendrozyten, eine besondere Form von Gliazellen, umwickeln immer mehr Axone. Die so gebildete fettreiche Myelinscheide, die der weißen Substanz auch ihre Farbe verleiht, erlaubt es den Axonen, Signale bis zu dreitausend mal schneller zu übertragen.

Der Frühjahrsputz unter den während der Kindheit verschwenderisch gebildeten Synapsen und die aufgemotzten Axone sorgen für mehr Effizienz im jugendlichen Gehirn. Doch diese stellt sich keineswegs überall gleichzeitig ein. Stattdessen folgen die Umbauarbeiten einer komplexen Choreographie, die auch Erklärungen für absonderliches Gebaren von Teenagern anbieten. Die Generalüberholung arbeitet sich nämlich von schlichteren zu komplexeren kognitiven Funktionen vor. Sie beginnt mit acht oder neun Jahren im sensorischen und motorischen Cortex im Scheitellappen, die Sinne und motorischen Fähigkeiten zu schärfen und erfasst dann ab ungefähr dem 10. Geburtstag Bereiche im Stirnlappen, die für Koordinierungsaufgaben zuständig sind, zum Beispiel für sprachliche Ausdrucksfähigkeit und räumliche Orientierung.

Als letztes ziehen im Stirn- und Schläfenlappen diejenigen Regionen nach, die eine besonders wichtige Rolle bei höheren, integrativen kognitiven Funktionen wie z. B. der Willensbildung, Handlungsplanung und Impulskontrolle spielen. Besonders wichtig für solche Vernunft-Leistungen ist der präfrontale Cortex, und gerade dieser entwickelt sich besonders langsam, bis über den 20. Geburtstag hinaus. Jugendliche lassen sich zum Beispiel bei Denkaufgaben noch deutlich leichter ablenken als Erwachsene und zeigen dabei vor allem im präfrontalen Cortex andere Aktivitätsmuster.

Hormonelle Veränderungen

Die Spätzündung im präfrontalen Cortex bedeutet auch, dass sich früher entwickelnde, emotional betonte Gehirnregionen in der Pubertät vergleichsweise ungezügelt austoben können. Männliche und weibliche Geschlechtshormone leisten dazu einen direkten Beitrag, vor allem im limbischen System, das eine wichtige Rolle bei der Verarbeitung von Emotionen und der Steuerung von Impulsen spielt und viele Hormonrezeptoren vorweisen kann. Testosteron fördert das Wachstum der Amygdala (des Mandelkerns), Östrogen eher das des Hippocampus . Beide Regionen sind Teil des Belohnungssystems, und die Amygdala wirkt als emotionaler Verstärker, gerade wenn es um Angst oder Wut geht.

Wie genau hormonelle Veränderungen die Struktur und Funktion dieser Gehirnregionen beeinflussen, ist zwar noch längst nicht klar, aber gerade die Amygdala gilt als heißer Kandidat für einen Motor pubertären Verhaltens. Bestens vernetzt mit anderen Gehirnarealen mischt sie vermutlich bei vielen Jugendexzessen mit – seien es Stimmungsschwankungen, erhöhte Aggression, Furchtlosigkeit und Risikofreude oder die Suche nach aufregenden Kicks. In der Amygdala nimmt die graue Substanz bei Teenagern entgegen dem Trend sogar zu – insbesondere bei Jungs, die schließlich auch mehr Testosteron produzieren. Bessere kognitive Leistungen gehen mit einem massiven Mandelkern nicht unbedingt einher, mitunter sogar das Gegenteil. Jedenfalls die Erkennung von Gesichtern und Gefühlen anderer – eine weitere wichtige Funktion der Amygdala – klappt in der Pubertät zeitweise weniger gut als in der Kindheit oder im Erwachsenenalter.

Der Neurowissenschaftler Peter Uhlhaas von der Universität Glasgow in Schottland fand Hinweise darauf, dass so ein vorübergehendes Leistungstief bei 15- bis 17jährigen direkt mit den Umbauarbeiten im jugendlichen Kopf zusammenhängt. Ihre Gehirne schwingen im EEG (Elektroencephalogramm: Aufzeichnung der elektrischen Aktivität des Gehirns (Hirnströme)) anders als die jüngerer oder älterer Probanden. Gerade hochfrequente Schwingungsmuster, die ein Indiz dafür liefern, wie gut die Kommunikation zwischen unterschiedlichen Gehirnregionen läuft, wurden in dieser Altersgruppe schwächer und weniger synchron.

„Wir beobachten eine einzigartige chaotische Phase, einen richtigen Bruch in der Entwicklung“, sagt Uhlhaas. Kurze Zeit später ist der Spuk schon wieder vorbei und aus dem Chaos entpuppen sich die für das reife Gehirn typischen hocheffizienten funktionalen Netzwerke, in denen auch weit voneinander entfernte Areale in synchroner Harmonie schwingen. Die Verwandlung ist komplett.

Baustelle im Kopf

Wo so viel in Bewegung ist wie auf der Baustelle im Kopf, kann natürlich auch einiges verrutschen. (Abbildung 1)

Abbildung 1. Im jugendlichen Gehirn finden massive Umbauten statt. Am Ende des Umbaus steht ein deutlich leistungsfähigeres Gehirn mit effizienten neuronalen Netzwerken.Während der Umbauphasen herrschen allerdings mitunter chaotische Zustände.

Welche Synapsen ausgemistet werden und wie genau die Kabelisolierarbeiten bei der Myelinisierung ablaufen, hängt auch davon ab, was der metamorphosierende Mensch in dieser Zeit erlebt. Die erhöhte neuronale Plastizität während der Pubertät macht besonders sensibel für äußere Einflüsse – seien es spannende Erfahrungen, eine tolle Ausbildung, Videospiel- und Fernsehexzesse, Drogenmissbrauch oder Gewalt. Das erklärt nicht nur, warum Jugenderlebnisse oft lebenslang die Persönlichkeit prägen, sondern auch, warum viele psychische Erkrankungen erstmals im Jugendalter auftreten.

Mithilfe weiterer EEG-Studien an Jugendlichen, die erste psychiatrische Symptome zeigen, will Peter Uhlhaas daher ein Frühwarnsystem entwickeln, das gefährdete Teenager anhand typischer Schwingungsmuster erkennt und so ein rechtzeitiges Eingreifen ermöglicht.

Bei aller Sorge vor dauerhaften Entgleisungen bleiben extreme Emotionen, Anfälle von Wagemut und die Suche nach krassen Erfahrungen in der Pubertät normal. Sie haben auch einen evolutionären Sinn, ermöglichen sie doch der heranreifenden Generation die Abkopplung von den Eltern und den Aufbau des eigenen Erfahrungsschatzes, den es braucht, um ein unabhängiger Erwachsener zu werden. Initiationsriten, in denen Teenager sich Mutproben oder Gefahren stellen oder auf eigene Faust in der Wildnis klarkommen müssen, sind fester Bestandteil vieler Kulturen und erleben auch bei uns derzeit eine Renaissance. Zu Recht, finden viele Experten und fordern, Jugendliche stärker herauszufordern und ihre Grenzen austesten zu lassen.

In der Pubertät mögen Flegelmanieren, Stimmungsstürme und sprießende Gewebe und Sekrete gehörig nerven und ja, auch Chaos im Kopf herrschen. Ein bisschen mehr Vertrauen in die fast reifen Gehirne ist dennoch nicht fehl am Platz. Man braucht nur einen Blick in einschlägige Schülerwettbewerbe zu werfen, um sich davon beeindrucken zu lassen, zu welchen Höhenflügen die musizierenden, forschenden oder debattierenden Kontrahenten in der Lage sind. Und ausgerechnet beim Zocken um Geld wählen Jugendliche mitunter sogar rationalere Strategien als Erwachsene, fanden Forscher kürzlich heraus .


*Der Artikel wurde am 01.04.2017 auf der Webseite www.dasgehirn.info veröffentlicht: https://www.dasgehirn.info/grundlagen/pubertaet/baustelle-im-kopf und steht unter einer CC-BY-NC Lizenz. www.dasGehirn.info ist ein Projekt der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung und der Neurowissenschaftlichen Gesellschaft e.V. in Zusammenarbeit mit dem ZKM | Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe


Weiterführende Links

Giedd JN et al: Child Psychiatry Branch of the National Institute of Mental Health Longitudinal Structural Magnetic Resonance Imaging Study of Human Brain Development. Neuropsychopharmacology Reviews. 2015; 40: 43-49 ( zum Volltext )

Natalie Steinmann: Summer of 69 (19.04.2017). https://www.dasgehirn.info/grundlagen/pubertaet/summer-69

Helge Hasselmann: Pubertät: Wenn das Gehirn groß wird (29.05.2017) https://www.dasgehirn.info/grundlagen/pubertaet/pubertaet-wenn-das-gehir...