Ein erweiterter Blick auf das Mikrobiom des Menschen

Do, 28.09.2017 - 16:42 — Francis S. Collins

Francis S. CollinsIcon MedizinDas menschliche Mikrobiom - die Gesamtheit aller Mikroorganismen, die in unserem Körper existieren - hat wesentliche Auswirkungen auf unsere Gesundheit, Krankheit und unser Verhalten; diese Auswirkungen sind aber noch unzureichend bekannt. Um eine umfassende Charakterisierung des humanen Mikrobioms und seiner Funktionen zu ermöglichen, starteten die National Institues of Health (NIH) vor einem Jahrzehnt das "Human Microbiome Project", eine interdisziplinäre Initiative, deren Ergebnisse öffentlich zugänglich sind. Francis Collins, NIH-Direktor und ehem. Leiter des "Human Genome Project", berichtet über die bis jetzt größte, eben erschienene Charakterisierung unseres Mikrobioms.*

Noch betrachten viele Menschen Bakterien und andere Mikroorganismen nur als Keime, die Krankheiten verursachen. Tatsächlich ist die Geschichte aber viel komplizierter. Mehr und mehr wird es klar, dass der gesunde menschliche Körper von Mikroorganismen nur so wimmelt, dass viele davon essentiell zu unserem Stoffwechsel, zu unserer Immunantwort, ja sogar zu unserer geistigen Gesundheit beitragen. Wir sind nicht bloß ein Organismus, wir sind ein "Superorganismus", der sich aus menschlichen und mikrobiellen Zellen zusammensetzt und in dem die Mikroben unsere Zellen an Zahl überbieten. Abbildung 1. Das Human Microbiome Project (HMP) der NIH, das vor einem Jahrzehnt begonnen hat das mikrobielle Makeup gesunder Amerikaner zu erforschen, fördert dieses neue Verständnis.

Abbildung 1. Wir sind ein Superorganismus, der sich aus menschlichen Zellen und Mikroorganismen zusammensetzt.

Vor rund fünf Jahren haben HMP-Forscher ihre erste Runde von Daten herausgegeben: diese boten einen ersten Einblick in Mikroorganismen, die in Mund, Darm, Nase und anderen Teilen des Körpers vorhanden sind [1]. Eine zweite Welle an Daten, die eben im wissenschaftlichen Journal Nature erschienen ist, bietet nun eine drei Mal so große Fundgrube an Information und verspricht unsere Kenntnisse über das menschliche Mikrobiom und seine Rolle in Gesundheit und Krankheit zu vertiefen [2]. Diese neuen Daten sind das Ergebnis einer breiten interdisziplinären Forschungskooperation, die von Curtis Huttenhower (Harvard School of Public Health,Boston, MA und Broad Institute MIT ) geleitet wurde. Insgesamt sind darin zusätzliche 1 631 neue Metagenome (siehe unten) enthalten und erhöhen damit die Datensammlung auf 2 355 Metagenome. Die neuen Metagenome stammen von 265 gesunden freiwilligen US-Bürgern und stellen vollständige Sets mikrobieller DNA-Sequenzen dar, die von jeweils sechs Körperregionen gesammelt wurden; diese schließen ein: Nasenraum, Innenseiten der Wangen, Zahn- und Zungenoberflächen, Regionen des Gastro-Intestinaltraktes und - bei Frauen - den Bereich der Vagina unterhalb des Gebärmutterhalses.

Das menschliche Mikrobiom…

besteht aus einer großen, noch immer nicht bestimmten Zahl an Mikroorganismen. Während Bakterien den Großteil der Keime ausmachen, die unsere Körper besiedeln, gibt es dann noch andere Bewohner wie einzellige Archaea und Pilze. Dazu kommen unterschiedliche Arten von Viren, die Nase und Darm auch vollkommen gesunder Menschen bevölkern.

…Metagenom…

Diese Keime exprimieren Millionen mikrobieller Gene, die in Summe als Metagenom bezeichnet werden. In den eben herausgegebenen Daten sind nun über eine Million mehr Gen-Familien enthalten als in den früher veröffentlichten - es wurde ein wesentlich breiteres Spektrum mikrobieller Diversität eingefangen.

Die DNA-Daten aus der Sequenzierung der Metagenome gestattete es den Forschern Überlegungen über die biochemischen Aktivtitäten und die möglichen Funktionen des menschlichen Mikrobioms anzustellen und wie diese über die Zeit hin in unterschiedlichen Teilen des Körpers und von Mensch zu Mensch variieren.

…und funktionelle Anpasssungen

Wenn auch viele Gene und Stoffwechselwege im Mikrobiom noch nicht biochemisch charakterisiert sind, so fanden sich 19 Wege, die in allen untersuchten Körperregionen verstärkt auftraten. Das bedeutet, dass diese Wege spezifisch in Gruppen von Mikroorganismen vorkommen, die für das Leben in und auf Menschen adaptiert sind.

Diese relativ Wirts-spezifischen Wege weisen wahrscheinlich auf funktionelle Anpassungen hin, die sich für die Mikroben als wichtig für ein harmonisches Zusammenleben mit Menschen erwiesen haben und darüber hinaus sogar Vorteile für den menschlichen Wirt boten.

  • Beispielsweise scheinen die in mehreren Körperregionen gefundenen, mikrobiellen Metagenome die spezielle Fähigkeit zur Synthese von Vitamin B12 zu besitzen, das für unsere Gesundheit ja essentiell ist.
  • Andere spezielle Merkmale waren für bestimmte Regionen des menschlichen Körpers spezifisch. En Beispiel dafür waren die im Mundbereich gefundenen Mikroben. Diese wiesen vermehrt Gene auf, die in die chemische Umwandlung von Nitraten in unserer Nahrung in Nitrite involviert sind . Es ist dies ein Prozess, der - neben anderen Gesundheitszuständen - mit der Regulation von Blutdruck und Vermeidung von Migräne verknüpft wird.
  • Mikroorganismen im Darm haben eine besondere Fähigkeit Mannan abzubauen, ein Kohlehydrat , das in vielen Gemüsesorten vorkommt.

Variable Keimbesiedelung

Es gab auch andere interessante Beobachtungen. Von Haemophilus parainfluenzae war schon lange bekannt, dass dieses Bakterium im oberen Atmungstrakt vorkommt und eine Rolle in der Bronchitis und Sinusitis spielt. Für die Forscher unerwartet war, dass dieser Keim auch mehrere Teile des Mundbereichs bewohnt. Der spezifische Haemophilus-Stamm variierte aber je nachdem, von wo der Abstrich genommen wurde - ob von der Wangeninnenseite, von der Zunge oder der Zahnoberfläche. Dies lässt darauf schließen, dass H. parainfluenzae an meiner Wange dem Keim auf Ihrer Wange ähnlicher sein könnte, als dem auf meiner Zunge.

Es erscheint interessant, dass man keine charakteristischen Unterschiede in den Metagenomen von Personen fand, die in Houston oder in St.Louis lebten. Ob dies auch landesweit für Städte zutrifft, ist eine spannende Frage.

Während einige der Mikroben im Darmbereich eines Individuums die Tendenz hatten über die Zeit hin stabil zu bleiben, zeigten sich andere wesentlich variabler. Erstaunlicherweise unterschieden sich diese" Kern-Mikroben" von Mensch zu Mensch häufig beträchtlich. Anders ausgedrückt: das Mikrobiom im Darm von Menschen - auch wenn diese in derselben Stadt leben - kann ein stark personalisiertes Set von Mikroben enthalten mit noch nicht erforschten Auswirkungen auf unsere Gesundheit.

Fazit

Zusätzlich zu unseren Genen, unserem Lebenstil und unseren Erfahrungen, sind unsere Mikrobiome Teil dessen, was jeden von uns einzigartig macht. Mikrobiome können uns auch erklären helfen, warum manche Menschen anfälliger für Krankheiten sind als andere. Wenn wir in den kommenden Jahren die mikrobiellen Unterschiede besser verstehen werden, die Individuen für Gesundheit oder Krankheit prädisponieren, so ist ein Faktum bereits heute weitestgehend klar:

Mikroben sind für uns ein essentieller Bestandteil.


[1] Structure, function and diversity of the healthy human microbiome. Human Microbiome Project Consortium. Nature. 2012 Jun 13;486(7402):207-14.(open access)

[2] Strains, functions, and dynamics in the expanded Human Microbiome Project. Nature. 2017 Sept 20.


* Dieser Artikel von NIH Director Francis Collins, M.D., Ph.D. erschien unter dem Titel:"Expanding our View of the Human Microbiome" zuerst (am 26. September 2017) im NIH Director’s Blog: https://directorsblog.nih.gov/2017/09/26/expanding-our-view-of-the-human-microbiome/. Der Artikel wurde von der Redaktion aus dem Englischen übersetzt und geringfügig für den Blog adaptiert. Reprinted (and translated by ScienceBlog) with permission from the National Institutes of Health (NIH).


Weiterführende Links

NIH Human Microbiome Project. https://hmpdacc.org/
Human Microbiome Project Data Portal: https://portal.hmpdacc.org/

Huttenhower Lab (Harvard H.T. Chan School of Public Health, Boston, MA) https://huttenhower.sph.harvard.edu/

Rob Knight: Wie unsere Mikroben uns zu dem machen, wer wir sind. TED-Talk (2014). Video 17:24 min.

Artikel zum Mikrobiom im ScienceBlog:

Redaktion 22.12.2016: Kenne Dich selbst - aus wie vielen und welchen Körperzellen und Mikroben besteht unser Organismus?