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Abschied von Carl Djerassi

Di, 03.02.2015 - 08:57 — Inge Schuster Inge SchusterIcon Wissenschaftsgeschichte

Dr. Carl Djerassi, weltberühmter Naturwissenschafter, Autor, Wissenschaftskommunikator, Firmengründer, Kunstsammler und –mäzen ist am 30. Jänner in San Francisco gestorben. Seine Arbeiten waren von eminenter Bedeutung für die medizinisch-chemische Forschung und Entwicklung; deren Ergebnisse haben unsere Gesellschaften grundlegend verändert.

ParteTodesanzeige auf der Homepage von Carl Djerassi

Wer war Carl Djerassi? Es erübrigt sich Carl Djerassi in diesem Forum vorzustellen, hat er dies ja hier im Oktober 2013 mit seinen eigenen Worten getan: Die drei Leben des Carl Djerassi. (Ergänzt wird sein Artikel durch ein ausführliches Curriculum Vitae und viele Links zu Interviews, die Djerassi gegeben hat und zu Vorträgen, die er hielt.) Ich will also nicht Eulen nach Athen tragen, wiederholen, was er gesagt hat und was die Medien seit zwei Tagen mehr oder weniger ausführlich über ihn berichten. Vielmehr möchte ich einige Anmerkungen zu meinen eigenen Eindrücken von der Person Carl Djerassi machen.

Vor 50 Jahren

Der Name Djerassi war uns angehenden Chemikern schon vor gut 50 Jahren ein klarer Begriff. Allerdings nicht in Hinblick auf die „Pille“. Zwar hatte Djerassi mit seinem Team deren Wirkstoff Norethisteron bereits 1951 synthetisiert – die Basis eines ersten oral wirksamen Antikonzeptivums, das rund 10 Jahre später auf den Markt kam. Zu dieser Zeit war allerdings noch in keiner Weise abschätzbar, zu welchen gigantischen gesellschaftlichen Veränderungen diese Innovation führen sollte. Unser damaliges Interesse galt vielmehr den faszinierenden neuen Methoden, für die Djerassi als Pionier und Topexperte galt und auch heute noch gilt: Masssenspektrometrie, Optische Rotationsdispersion und Circulardichroismus. Dies waren für uns klingende Schlagworte, synonym für unbegrenzte Möglichkeiten zu Strukturaufklärung und Charakterisierung auch höchstkomplizierter chemischer Verbindungen.

Friedrich Wessely – damals unumschränkter und von vielen gefürchteter Herrscher über die Organische Chemie an der Wiener Universität – war von allem Neuen fasziniert und wollte derartige Technologien unbedingt auch in Wien etabliert wissen. (Wessely hatte u.a. auch den späteren Nobelpreisträger Max Perutz nach Cambridge vermittelt, wo dieser mittels Röntgenkristallographie die Struktur des Hämoglobin aufklärte, und Hans Tuppy an das Institut von Fred Sanger, wo Tuppy maßgeblich zur Sequenzanalsyse des Cytochrom C beitrug, die Sanger den Nobelpreis brachte.) Wessely vermittelte also seinen ehemaligen Doktoranden Herbert Budzikiewicz an das Djerassi Department an der Stanford University um dort Massenspektroskopie zu lernen.

Es wurde ein großartiger Erfolg, über den die Fama (vor allem im Labor von Fritz Wessely, dem sogenannten Cheflabor) uns berichtete. In den Jahren 1961 – 1965 war Budzikiewicz als Senior Research Associate mit dem Aufbau und der Leitung der Abteilung für Massenspektrometrie in Stanford betraut. Die Literaturdatenbank Thomson-Reuters (ISI) zählt 94 Artikel mit beiden – Djerassi und Budzikiewicz – als Autoren. Unter diesen Arbeiten sticht mit 1280 Zitierungen hervor: „Mass spectrometry in structural and stereochemical problems. 32. Pentacyclic triterpenes (1963)“ Es wurde die überhaupt meistzitierte Arbeit von Djerassi. (Das Opus von Djerassi besteht aus insgesamt 1312 Publikationen.)

Wir staunten – irgendwie entstand in unseren Labors etwas wie eine Aufbruchsstimmung, allerdings nur kurzfristig.

Als Budzikiewicz 1965 Stanford verließ, war es – leider – nicht Wien, wohin er zurückkehrte, sein Weg führte über Braunschweig nach Köln, wo er von 1970 bis zu seiner Emeritierung renommierter Professor für Organische Chemie war. Auch viele von uns verließen Österreich, das damals nur sehr beschränkte Möglichkeiten für uns Absolventen bot. Die meisten kehrten nicht zurück.

Rund 30 Jahre später

Persönlich habe ich Carl Djerassi erstmals Anfang der 1990er Jahre erlebt. Djerassi hatte sich damals entschlossen wieder in seine Heimatstadt Wien zu kommen und über seine Arbeiten und Interessen zu referieren. Eine der ersten Adressen, an der er nun einen Vortrag hielt, war das Sandoz-Forschungsinstitut in Liesing. Da ich dort seit langem u.a. über Steroide – vor allem Östrogene und Androgene – und die Modulierung ihrer Biosynthese und ihres Abbaus arbeitete, war ich überaus gespannt auf den Vortrag. Eben war ja Djerassis Biografie „Mutter der Pille“ erschienen und dies sollte auch der rote Faden seines Vortrags sein:

Es wurde vor allem eine Reise durch das Leben Djerassis. Von seiner Jugend in Wien, auf die seine Vertreibung folgte, bis hin zu seinen immer größeren Erfolgen in den Vereinigten Staaten. Es war ein überaus buntes Bild, das der Vortragende entwickelte. Bereits ein 70er, erzählte er überaus dynamisch, pointiert und mit leichtem Sarkasmus –auch hinsichtlich seiner eigenen Person. Das Hohelied auf Steroide, auf das ich mich schon gefreut hatte, spielte leider eine untergeordnete Rolle.

Ein Bild, das mir in Erinnerung geblieben ist: Ein großer Tisch auf dem mehrere hundert Exemplare von drei Djerassi-Büchern – darunter „Mutter der Pille“- aufgetürmt waren. Jeder von uns konnte sich eines davon auswählen. Den Tisch mit den Bücherstapeln habe ich auch bei späteren Djerassi Vorträgen gesehen.

Die letzten Jahre

Djerassi hatte 2004 wieder die österreichische Staatsbürgerschaft angenommen und – ich denke es war 2009 – in Wien eine Wohnung im Botschaftsviertel des 3. Bezirks gemietet. Der Workaholic, der nach seinen Aussagen 80 Stunden in der Woche arbeitete und für den Begriff Urlaub nur ein unverständiges Lächeln übrig hatte, war zum rastlos Reisenden geworden (als Grund nannte er: „die Einsamkeit des Witwers“).

Der Berühmte wurde weltweit hofiert. Man überbot sich allerorts mit Einladungen zu Vorträgen und Interviews, zu Aufführungen seiner Theaterstücke und mit Ehrungen. Zu den insgesamt mehr als 30 Ehrendoktoraten kamen auch einige aus Österreich dazu. (Dazu Djerassi lakonisch: „Spät kommt ihr, doch ihr kommt“.) Djerassi nahm die Einladungen an, pendelte zwischen seinen drei Wohnsitzen San Francisco, London und Wien hin und her und blieb immer länger in Wien. Es war ein unglaublicher Reiseplan, den er bewältigte (der wesentlich Jüngere außer Gefecht gesetzt hätte); beispielsweise listet der Reiseplan des nun schon über 90-Jährigen im ersten Halbjahr 2014 die folgenden Stationen auf: San Francisco – Wien - San Francisco – Kentucky - San Francisco – Iowa City - San Francisco – Wien – London – Groningen – Freiburg – Wien – Bielefeld – Wien – Fischbachau (Bayern) – Wien – Weiz – Innsbruck – Salzburg – Wien – Odense – Wien.

In den letzten Jahren hatte ich wiederholt – bei Freunden und auch bei uns zuhause – Gelegenheit zu mehrstündigen Gesprächen mit Djerassi. Es war eine wunderbare Erfahrung diesem überaus wachen, überaus kreativen Menschen zuzuhören – seiner eleganten Sprache mit leicht wienerischem Akzent, seinen Erfahrungen, Schlussfolgerungen und den vielen Plänen, die er noch hatte – und mit ihm zu diskutieren, das Aufblitzen in seinen Augen zu sehen, wenn er einen besonders interessanten Punkt bemerkte.

Es gab kein Abgleiten in Small-Talk, vielmehr waren es gemeinsame Interessen, die jedes Mal die Zeit wie im Flug vergehen ließen, Themen wissenschaftlicher Natur (natürlich auch über Steroidhormone), Themen der Wissenschaftspolitik und der diesbezüglich betrüblichen Situation unseres Landes und vor allem Djerassis Hauptanliegen der letzten Jahren, die Wissenschaftskommunikation:

Djerassi schilderte, wie er sich „Edutainment“ vorstellte – Unterhaltung, die gleichzeitig belehrt –, wie er dies in Fallbeispiele zu erreichen versuchte, die er in Form von Dialogen beschrieb (der Humanist Djerassi sah hier natürlich Plato und Galilei als Vorbilder). Unsere Initiative Wissenschaft „aus erster Hand“ für Laien verständlich in Blogform zu kommunizieren, fand seine volle Zustimmung. Natürlich habe ich dann sofort gefragt, ob er uns vielleicht einen Beitrag widmen könnte. Djerassi sagte sofort „Ja“. Er schlug sein eben erschienenes Buch „Schattensammler“, das vor ihm auf dem Tisch lag, auf und wies in seiner präzisen, effizienten Art auf die Passagen hin, die in dem Artikel vorkommen sollten. Wir sind sehr stolz darauf, dass daraus der ScienceBlog-Artikel „Die drei Leben des Carl Djerassi – Chemiker, Romancier, Bühnenautor“ entstanden ist.

Es war ein überreiches Leben, das nun zu Ende ging.

Djerassi hat – wie er sagt – sich nie begnügt „innerhalb der Grenzen eines beruflichen oder künstlerischen Betätigungsfeldes zu verharren“. Aus einem vertriebenen, völlig mittellosen Heimatlosen wurde der weltberühmte Chemiker, dessen Synthese von Cortison, dessen Erfindung der hormonellen Schädlingsbekämpfung, vor allem aber dessen Synthese des Wirkstoffs der „Pille“ zu enormen wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Konsequenzen geführt haben.

Aus dem Universitätsprofessor, der die wachsende Kluft zwischen Naturwissenschaften, Geistes-und Sozialwissenschaften und der Massenkultur überbrücken wollte, wurde ein Wissenschaftskommunikator, der im Mantel eines erfolgreichen Romanciers und Bühnenautors neue Formen eines „Edutainment“ entwickelt hat: mit „Science-in-Fiction“ und „Science-in-Theater“ schmuggelt er nun naturwissenschaftliche Inhalte in die Unterhaltung und bringt ebenso einem breiteren, uninformierten Publikum nahe, wie Wissenschafter eigentlich „ticken“.

Der 16-jährige Djerassi war mit nichts als 10 Dollar in der Tasche nach Amerika geflohen. Er besaß dennoch im Übermaße alles, was ihm zum Erfolg, Ruhm und Reichtum verhelfen sollte: Bildung, Klugheit, Talent, Willensstärke, Kraft und Ausdauer, ebenso wie die Fähigkeiten Andere durch Charisma zu gewinnen, durch Wissen zu überzeugen und sich selbst dabei kritisch zu sehen.


Weiterführende Links

Das letzte Interview - rund 6 Wochen vor seinem Tod aufgenommen – zeigt einen sehr nachdenklichen, aber durchaus aktiven Djerassi. Gespräch im Hochhaus - Matt spricht mit Djerassi (19.01.2015, 22:15 Uhr): Video 50:23 min. http://www.w24.at/Gespraech-im-Hochhaus/816923

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