Hochhäuser werden zu Energiespeichern

Do, 02.06.2022 — IIASA

IIASA Logo

Icon Energie

Mit den rasch sinkenden Kosten für die Erzeugung erneuerbarer Energien wie Wind- und Solarenergie entsteht ein wachsender Bedarf an Technologien zur Energiespeicherung, um sicherzustellen, dass Stromangebot und -nachfrage in Balance sind. Ein internationales Team um Julian Hunt vom International Institute of Applied Systems Analysis (IIASA) hat ein innovatives, auf der Schwerkraft basierendes Energiespeicherkonzept - Lift Energy Storage Technology (LEST) - entwickelt, mit dem in städtischen Gebieten zur Verbesserung der Netzqualität Hochhäuser in Batterien verwandelt werden können. In solchen Gebäuden sollen Aufzüge und leer stehende Wohnungen und Flure genutzt werden, um zur Energiespeicherung Container mit Materialien hoher Dichte von den unteren Etagen in die oberen Wohnungen zu transportieren und zur Stromerzeugung Container von den oberen Wohnungen in die unteren Etagen herab zu führen.*

Die weltweite Kapazität zur Erzeugung von Strom aus SolarPaneelen, Windturbinen und anderen erneuerbaren Technologien hat in den letzten Jahren stetig zugenommen und man erwartet, dass bis zum Jahr 2026 die weltweite Kapazität zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien um mehr als 60 % gegenüber dem Stand von 2020 steigen wird. Dies entspricht der derzeitigen globalen Gesamtkapazität der Stromerzeugung aus fossilen Brennstoffen und Kernenergie zusammen genommen. Nach Angaben der Internationalen Energieagentur werden die erneuerbaren Energien bis 2026 fast 95 % des Anstiegs der weltweiten Stromerzeugungskapazität ausmachen, wobei die Photovoltaik mehr als die Hälfte dazu beitragen wird. Allerdings erfordert der Übergang zu einer CO2-armen oder -freien Gesellschaft innovative Lösungen und eine andere Art der Energiespeicherung und des Energieverbrauchs als die traditionellen Energiesysteme.

Das Lift Energy Storage Technology (LEST)- Konzept

Die Forscher des IIASA schlagen in ihrer in der Zeitschrift Energy veröffentlichten Studie eine originelle, auf der Schwerkraft basierende Speicherlösung vor, die Aufzüge und leer stehende Wohnungen in hohen Gebäuden zur Energiespeicherung nutzt [1]. Die Autoren nennen diese neue Idee Lift Energy Storage Technology (LEST). Die Speicherung von Energie erfolgt durch das Hochfahren von Behältern mit nassem Sand oder anderen Materialien mit hoher Dichte, die mittels autonom gesteuerten Fahrzeugen in einen Aufzug hinein und wieder heraus transportiert werden. Abbildung 1.

Abbildung 1. Hochhäuser als Energiespeicher - Das Konzept der Lift-Energy-Storage-Technology: Energiespeicherung durch Hochfahren von Lasten in leer stehende Räume oberer Stockwerke, Energierückgewinnung durch Bremsenergie beim Hinunterfahren der Lasten. a): Die Komponenten des Systems. b): Lasten im unteren Gebäudeabschnitt. c) "Voller" Energiespeicher. d): Aufladen der "Batterie". e): Stromerzeugung beim Hinunterfahren. f: Aufzug dient dem Personenverkehr und der Speicherung und Regeneration von Energie . (Bild aus Julian Hunt et al., 2022 [1]; Lizenz: cc-by)

LEST ist eine interessante Option: Aufzüge sind in den Hochhäusern ja bereits installiert. In anderen Worten: es besteht kein Bedarf für zusätzliche Investitionen oder Räume , es wird vielmehr das Vorhandene auf andere Weise verwendet, um einen zusätzlichen Nutzen für das Stromnetz und den Gebäudeeigentümer zu schaffen.

Wie es zu dem LEST-Konzept gekommen ist, erklärt Julian Hunt von der IIASA-Forschungsgruppe für nachhaltige Dienstleistungssysteme und Erstautor der Studie erklärt dazu: "Ich war schon immer von Themen fasziniert, die mit potentieller Energie zu tun haben, d. h. mit der Erzeugung von Energie durch Änderung der Höhenlage, wie es beispielsweise Wasserkraft, Pumpspeicherung, Auftrieb und Schwerkraftspeicherung sind. Das Konzept der Schwerkraftspeicherung hat in letzter Zeit auch in der wissenschaftlichen Gemeinschaft und bei Startups große Aufmerksamkeit erregt. Auf die Idee von LEST bin ich gekommen, als ich nach meinem Einzug in eine Wohnung im 14. Stock viel Zeit damit verbracht hatte mit dem Aufzug auf und ab zu fahren".

Wie viel Energie gespeichert werden kann**,

beschreibt die Gleichung:

E = m x h x g x e

E ist die potentielle Energie (J), m die Masse( kg) der beladenen Container, h der mittlere Höhenunterschied (m) zwischen oberen und unteren Lagerplätzen, g die Gravitationskonstante (m/s2) und e die Effizienz des Aufzugs (üblicherweise mit 80 % kalkuliert). Für ein Gebäude mit einer Lagerfläche für 5 000 Container (jeweils mit 1000 kg nassem Sand) und einer Höhendifferenz von 50 m ergibt dies eine Speicherkapazität von 545 kWh (entspricht der Batterie eines Elektro-LKWs). Mit zunehmendem Höhenunterschied und steigender Masse der Container erhöht sich die Speicherkapazität des Systems.

Die Kosten für die Energiespeicherung sind (abgesehen von etwaigen Mietkosten) im Wesentlichen auf die Beschaffung der Container plus Füllmaterial und die autonom fahrenden Vehikel beschränkt. So würde die Speicherung in einem System mit 5000 Containern und 100 m Höhendifferenz auf 62 $/kWh kommen, bei 300 m Höhendifferenz auf 21 $/kWh - bedeutend billiger als konventionelle Batterien. Wie viel Energie (W) beim Hinunterfahren regeneriert wird, hängt von der Transportgeschwindigkeit ab.

Vorteile von LEST ....

Um eine Lösung durch Schwerkraftspeicheung realisierbar zu machen, sind nach Ansicht der Autoren die Kosten für die Energieaufnahme und - Rückgewinnung (Energiekapazität) die größte Herausforderung, Der wichtigste Vorteil von LEST ist, dass diese Energiekapazität bereits in Aufzügen mit regenerativen Bremssystemen eingerichtet ist. Weltweit sind mehr als 18 Millionen Aufzüge in Betrieb; viele von ihnen stehen aber einen beträchtlichen Teil der Zeit still. Die Idee von LEST ist, Aufzüge in der Zeit, in der sie nicht der Beförderung von Personen dienen, zur Speicherung oder Erzeugung von Strom zu nutzen.

Die Möglichkeit, Energie dort zu speichern, wo der meiste Strom verbraucht wird, wie es in Städten der Fall ist, bedeutet großen Nutzen für das Energienetz; LEST kann erschwingliche und dezentrale Hilfsdienste bereitstellen, die wiederum die Qualität der Stromversorgung in einem städtischen Umfeld verbessern könnten.

Behnam Zakeri, Koautor der Studie und Forscher in der IIASA-Forschungsgruppe für integrierte Bewertung und Klimawandel betont dies: "Umweltfreundliche und flexible Speichertechnologien wie LEST werden in einer Zukunft, in der ein großer Teil des Stroms aus erneuerbaren Energien stammt, für die Gesellschaft immer wertvoller werden. Daher müssen die politischen Entscheidungsträger und die Stromnetz-Regulierungsbehörden Strategien entwickeln, um Anreize für die Endverbraucher, in diesem Fall die Hochhäuser, zu schaffen, ihre dezentralen Speicherressourcen - beispielsweise LEST - mit dem zentralen Netz zu teilen. Die koordinierte Nutzung solcher dezentraler Ressourcen verringert den Bedarf an Investitionen in große zentrale Speichersysteme".

.... und noch zu lösende Fragen

Wie bei jedem neuen System gibt es noch einige Details, die weiter ausgearbeitet werden müssen, bevor das System zum Einsatz kommen kann. Dazu gehört es nutzbare Räume zu finden, in denen die Gewichtscontainer gelagert werden können - in den in den obersten Etagen, wenn das System voll aufgeladen ist und unten im Gebäude, wenn das System entladen ist. Hier könnten leer stehende Wohnungen, Büroräume und Gänge in den oberen Bereichen und Eingangshallen und Garagen in den unteren Etagen praktikable Optionen sein.

Eine weitere Überlegung betrifft die Deckentragfähigkeit bestehender Gebäude, in denen das System installiert wird, d. h. die Gesamtlast in Kilogramm pro Quadratmeter, die die Decke tragen kann, ohne zusammenzubrechen.

Zum globalen Potential von LEST**

Abbildung 2. Zahl, Höhe und globale Verteilung von Hochhäusern. (Bild von der Redaktion eingefügt aus: J.Hunt et al., Figs 11,12 [1]. Lizenz: cc-by)

Auf Basis der über 22 000 in Datenbanken gelisteten, weltweit existierenden Hochhäuser (mit Höhen über 50 m) haben die Forscher eine grobe Abschätzung des globalen Potentials von LEST vorgenommen. (Abbildung 2 fasst die Zahl, Höhe und regionale Verteilung der Hochhäuser zusammen.) Bei einer mittleren Gebäudehöhe von 120 m und vorausgesetzt, dass in den obersten Etagen Platz und Tragfähigkeit für 5 000 Container vorhanden ist, schätzen die Forscher ein globales Potential von 30 GWh, bei 50 000 Containern käme das Potential auf 300 GWh.


 [1] Hunt, J.D., Nascimento, A., Zakeri, B., Jurasz, J., Dąbek, P.B., Franco Barbosa, P.S., Brandão, R., José de Castro, N., Filho, W.L., Riahi, K. (2022). Lift Energy Storage Technology: A solution for decentralized urban energy storage, Energy DOI: 110.1016/j.energy.2022.124102


 *Der Artikel " Turning high-rise buildings into batteries" https://iiasa.ac.at/news/may-2022/turning-high-rise-buildings-into-batteries  ist am 30. Mai 2022 auf der IIASA Website erschienen. Der Artikel wurde von der Redaktion möglichst wortgetreu übersetzt und durch Untertitel und zwei mit ** markierte Absätze mit Texten und Abbildungen aus der zitierten Originalarbeit [1] ergänzt. IIASA hat freundlicherweise der Veröffentlichung der von uns übersetzten Inhalte seiner Website und Presseaussendungen in unserem Blog zugestimmt.


Anmerkung der Redaktion:

Mit einem internationalen Team hat der noch recht jungen IIASA-Forscher Julian David Hunt (PhD in Engineering Science, University Oxford) vor wenigen Wochen zwei weitere hoch-innovative Konzepte zur Energiespeicherung publiziert, die wir im ScienceBlog vorgestellt haben:

IIASA, 30.03.2022: Hydrogen Deep Ocean Link: Ein globales nachhaltiges Energieverbundnetz

IIASA, 24.03.2022: Anstelle von Stauseen, Staumauern, Rohrleitungen und Turbinen: Elektro-Lkw ermöglichen eine innovative, flexible Lösung für Wasserkraft in Bergregionen


 

Comments

Günter Baca (not verified)

Sun, 12.06.2022 - 11:26

Das ist eine sehr schöne Phantasie. Die Realität ist weniger euphorisierend. Denn um die Träger der "Potentiellen Energie" (in diesem Beispiel nasse Sandsäcke) an den Speicherplatz zu verbringen benötigt man zuerst einmal Energie für die Fahrt nach oben.
Dabei ist der Einfluss der Systemeffizienz auf Energieverbrauch und Regeneration bedeutsam. Denn es gibt etwa folgende elektrische und mechanische Verluste.
Aufwärtsfahrt: Schacht-Verlust 5% Motor-Verlust 20% Steuerungs-Verlust 5%
Regenerationsfahrt: Schacht-Verlust 5% = 5 Motor-Verlust 20% = 20 Steuerungs- Verlust 5%
Tatsächlich können nur etwa 52% der eingesetzten Energie, die benötigt wird um die Sandsäcke hochzutransportieren, zurückgewonnen werden. 48% entfallen auf Systemverluste.
Es wird in jedem Fall weniger Strom gewonnen, als investiert.
Die Rekuperation kann aber auch ohne Sandsäcke erzielt werden, wenn leere Kabinen nach oben fahren.
Natürlich bleibt der Systemverlust davon unberührt.
Ein weiterer Punkt ist die äusserst kurze Zeitspanne, in der Strom "gewonnen" werden kann. Eine durchschnittliche Fahrtdauer liegt in herkömmlichen Gebäuden unter einer Minute. Von den rund 18 Millionen Aufzügen fährt nur ein kleiner Teil in Hochhäusern.
Etwa 50% der Aufzugspopulation ist älter als 25 Jahre. Regenerative Antriebe sind noch entsprechend selten und die elektrische Effizienz der Anlagen ist sicher nicht fit für diese Nutzung.
Zusätzlich ist der Strombedarf zu bedenken, der für die Steuerung und den Betrieb der "Roboter" benötigt wird. Die müssen vermutlich rund um die Uhr bereit stehen.
Die Bereitstellung des Lagerraums sowohl im oberen als auch unteren Bereich des Gebäudes wirft zusätzliche Fragen auf. Erstens die kommerzielle: Raum ist teuer und in Highrisegebäuden ganz besonders, je höher im Gebäude der Raum angeordnet ist. Zweitens, die Statik.
Ich würde mich freuen hier mehr zu erfahren, wie diese Punkte gelöst werden können.
Eine Dialogbox, welche einen Permalink zum Kommentar anzeigt

- auch zur Systemeffizienz, den Vorteilen und den offenen Fragen - gibt die unter [1] zitierte Arbeit von Hunt et al., in Energy, Energy DOI: 10.1016/j.energy.2022.124102

Die von Ihnen aufgeworfenen Fragen sieht Hunt natürlich auch: "This paper assumes that the lift installed already has regenerative braking capabilities and the cost for renting the space to store the containers in the upper and lower storage sites is zero. Thus, the only cost requirements are the containers, the material selected to increase the mass of the containers, and the autonomous trailers".         

Im Übrigen wird das Konzept der Schwerkraftspeicherung von einigen Firmen bereits umgesetzt: