Homo ludens - Spieltheorie

Do, 29.11.2012- 04:20 — Karl Sigmund

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Die Spieltheorie ist eine mathematische Disziplin, die sich direkt aus dem Spiel ableitet. Auf der Basis von Gesellschaftsspielen (wie z.B. Schach oder Poker) modelliert die Spieltheorie die sozialen/ökonomischen Wechselwirkungen zwischen den Mitspielern. Der Zufall kann dabei eine Rolle spielen, jedoch kommt ein weiteres Element der Ungewissheit hinzu: der Spielausgang hängt nicht nur von den eigenen Entscheidungen, sondern von anderen ab, die zumeist andere Interessen haben.

Spieltheorie ist die Theorie von Interessenskonflikten. Diese spielen bei sozialen, wirtschaftlichen oder militärischen Wechselwirkungen eine wesentliche Rolle; auch Recht und Moral dienen in erster Linie dazu mit Interessenskonflikten fertig zu werden.

Spieltheoretiker befassen sich zumeist nicht mit der Theorie von Brett- oder Kartenspielen. Sie verwenden nur die Sprechweise von Gesellschaftsspielen – Spiel, Spieler, Strategien, Auszahlung - um soziale Wechselwirkungen zu beschreiben.

  • Die Wechselwirkung wird als Spiel bezeichnet,
  • die Individuen heißen Spieler,
  • diese müssen sich zwischen mehreren Alternativen (= Strategien) entscheiden und
  • je nachdem, was die Spieler gewählt haben, fällt dann ihre Auszahlung aus (die keineswegs in Geld bestehen muss, aber ihre Präferenzen widerspiegelt: jeder möchte möglichst gut abschneiden).
     

Als Geburtstunde der Spieltheorie wird das Erscheinen des Buches von Oskar Morgenstern und John von Neumann angesehen, 1944: ‚Game Theory and Economic Behaviour‘ sollte ursprünglich ‚Theory of Rational Decisions‘ heißen, und wahrscheinlich wäre dann der Erfolg weniger fulminant gewesen. Das Buch begeisterte Journalisten, Politikberater und Militärs, vor allem aber junge Mathematiker wie etwa den genialen John Nash, der bald darauf die Spieltheorie auf neue Füße stellte, und dessen tragisches Leben durch den Film ‚A beautiful mind‘ einem großem Publikum bekannt wurde. Bald entdeckten auch Moralphilosophen, Ökonomen, und Verhaltensbiologen die Spieltheorie. Sie ist das Werkzeug par excellence des methodologischen Individualismus.

Im folgenden möchte ich einige Beispiele für typische spieltheoretische Gedankengänge bringen.

Beispiel 1: Schaden durch Eigennutz

Stellen Sie sich folgenden Versuch vor. Zwei Probanden (also Spieler A und B), die einander nicht kennen und nie sehen werden (und die das wissen) sitzen in zwei Kämmerchen. Jeder hat die Wahl zwischen zwei Alternativen (also Strategien) C und D: Wenn ich C wähle, muss ich dem Versuchsleiter 5 € zahlen, und der andere Spieler erhält (durch den Versuchsleiter) 15 €. Wenn ich D wähle, geschieht das nicht. Wir müssen unsere Entscheidungen – soll ich dem anderen Spieler etwas schenken oder nicht? - unabhängig voneinander treffen.

GefangenendilemmaAbbildung 1. Das Gefangenendilemma.

Es ist klar: wenn der andere C wählt, und ich auch, erhält jeder unterm Strich 10 € . Mehr erhielte ich, wenn ich das Geschenk des anderen nicht erwidere, also D spiele: dann bekomme ich 15 €. Also: wenn der andere C spielt, ist es für mich besser, D zu spielen. Wenn der andere D spielt, natürlich erst recht. Denn wenn ich C wähle, verliere ich 5 €, und wenn ich D spiele, nichts. Also ist es in jedem Fall besser, D zu spielen. Das gilt für den anderen genau so. Dann bekommen wir aber beide nichts. Jeder hat dann auf 10 € verzichtet – und zwar aus Eigennutz!

Das ist ein Beispiel für ein sogenanntes Gefangenendilemma (siehe unten). Das Paradoxon: durch Eigennutz schaden wir uns selbst!

Oft fasst man das Wirtschaftsleben auf als Unterfangen, wo jeder seinen eigenen Nutzen verfolgt, zum schließlichen Wohle aller. Laut Adam Smith harmonisiert eine ‚unsichtbare Hand‘ die  eigennützigen Bemühungen der Wirtschaftstreibenden: dadurch, dass sie ihr eigenes Einkommen maximieren wollen, maximieren sie das Allgemeinwohl.

„Durch das Verfolgen der eigenen Interessen fördert der Mensch oft das Interesse der Gesellschaft wirksamer, als wenn er es wirklich fördern wollte... Der Mensch beabsichtigt nur den eigenen Vorteil, und er wird so wie durch eine unsichtbare Hand zu einem Ziel geführt, das er gar nicht beabsichtigt.“ (Adam Smith)

Und manchmal funktioniert das auch wirklich. Aber bei einem Sozialdilemma eben nicht! Da lässt sich mit Joseph Stiglitz sagen: ‚Die unsichtbare Hand ist unsichtbar, weil sie gar nicht da ist.‘

Nebstbei gesagt, der ‚Eigennutz‘ ist nicht notwendigerweise Egoismus, Präferenzen müssen nicht selbstsüchtig sein. Mir könnte es beispielsweise ausschließlich um das Wohl von Seehundbabys gehen. Trotzdem, solange ich und mein Spielpartner verschiedene Präferenzen haben, können wir uns in so einer sozialen Falle verfangen.

Es gibt tausende von wissenschaftlichen Artikeln und eine ganze Reihe von Büchern über das Gefangenendilemma! Es taucht immer dort auf, wo zwei Personen zusammenarbeiten. Sobald es möglich ist, den Beitrag des anderen auszubeuten, oder den eigenen Beitrag auf Kosten anderer zu verringern, können wir in eine soziale Falle tappen. Anscheinend sind Menschen aber besonders befähigt, sich daraus zu befreien. Wir kooperieren oft mit Erfolg, ohne immer zu wissen, wieso. Wenn man zum Beispiel ein Bild des anderen sieht, steigt die Bereitschaft, dem etwas zu schenken, umso mehr, als der uns ähnlich sieht (selbst wenn uns diese Ähnlichkeit gar nicht auffällt!). Man kann im Experiment das Bild des anderen digital manipulieren und damit auch die Bereitschaft, zu schenken.

Beispiel 2: Das Ultimatum-Spiel - Homo oeconomicus

Dieses Experiment erfordert wieder einen Spielleiter und zwei Spieler, die einander nicht kennen, nicht einmal sehen, und die wissen, dass sie einander nach dem Spiel nie wieder begegnen werden. Der Spielleiter verkündet, dass er 10 € unter die zwei Spieler aufteilen wird, unter den folgenden Bedingungen:

  • Zuerst entscheidet ein Münzwurf, wer von den zwei Spielern der Bieter ist.
  • Dann darf der Bieter (hier A) einen Vorschlag machen, wie die 10 € aufgeteilt werden.
  • Wenn der andere (hier B) zustimmt, wird das auch so gemacht, und das Spiel ist zu Ende.
  • Wenn aber der andere ablehnt, ist das Spiel ebenfalls zu Ende. Denn dann nimmt der Spielleiter die 10 € wieder an sich, und die beiden Spieler gehen ihrer getrennten Wege, ohne irgend etwas bekommen zu haben. Es gibt kein Feilschen, keine zweite Runde; sondern nur ein Angebot, das akzeptiert oder verworfen werden muss. Ein Ultimatum halt! Gespielt wird um echtes Geld.

Wie würden Sie sich entscheiden, in der Rolle des Bieters oder des anderen? Homo oeconomicusAbbildung 2. Entscheidungsbaum für den Homo oeconomicus

Ist der andere rational, sollte er jedes (positive) Angebot annehmen, auch wenn es noch so gering ist – ein Euro ist besser als keiner. Im Hinblick darauf sollte ein rationaler Bieter dem anderen einen Minimalbetrag anbieten, hier etwa 1 €, und sich den Rest behalten. So sollte der sogenannte Homo oeconomicus handeln, zumindest wenn er glaubt, seinesgleichen zum Partner zu haben. In Wirklichkeit geschieht das fast nie! Der weitaus überwiegende Teil der Angebote beträgt 4 oder 5 €, also die Hälfte der Summe oder knapp darunter. Nur ganz wenige Angebote betragen 2 € oder weniger. Solche ‚unfairen‘ Angebote werden fast ausnahmslos empört abgelehnt. Die meisten Spieler bestehen auf einer ‚fairen‘ Lösung, also einer Aufteilung zu etwa gleichen Teilen.

Das Spiel ist an vielen Orten wiederholt worden (Tokio, Ljubljana, Chicago, Zürich…), die Resultate sind zumeist ganz ähnlich. Die Stadtmenschen sind in dieser Beziehung überall gleich. Aber dann hat man dieses Spiel in sogenannten small-scale societies durchgeführt, also etwa bei den Machiguenga (Jägern und Sammlern aus dem Amazonasbecken), den Hazda (einem Hirtenvolk aus Kenia), den Lamalera (Fischern in Indonesien). kulturelle bedingte Unterschiede. Die Jäger und Sammler sind am ‚unfairsten‘ (aber immer noch viel weniger unfair als der fiktive Homo oeconomicus: sie bieten im Mittel etwa ein Viertel der Gesamtsumme). Die Lamalera sind dagegen hyperfair, sie bieten mehr als die Hälfte (und lehnen übrigens solche Angebote meist ab: das hängt mit ihrer Geschenkkultur zusammen). Am ‚fairsten‘ sind Gruppen aus modernen Großstädten wie Los Angeles oder Chicago.

Beispiel 3: Solidarität, Trittbrettfahrer und institutionelle Bestrafung

In einer Gruppe von, sagen wir, 6 Spielern kann jeder einen gewissen Betrag in eine Gemeinschaftskasse einzahlen, sagen wir 20 €, wissend, dass der vom Versuchsleiter verdoppelt wird, und dann auf alle Teilnehmer gleichmäßig aufgeteilt. Auf alle, egal, ob die eingezahlt haben oder nicht! Die Gemeinschaftskasse ist ein öffentliches Gut, in dem Sinn. Jeder hat daran teil.

Wenn alle brav einzahlen, bekommt jeder doppelte heraus. Das ist gut! Ich gewinne 20 €. Aber noch besser scheint es, ein sogenannter Trittbrettfahrer oder Schwarzfahrer zu sein. Wenn die fünf anderen 20 € einzahlen und ich nichts, gewinne ich 33€! Freilich, wenn alle schwarzfahren, also nichts einzahlen, dann erhält keiner was. Wieder so eine soziale Falle!

Klar ist: Schwarzfahrer gehören bestraft. Denn wenn sie eine Strafe zahlen müssen, werden sie keinen Anreiz haben, schwarz zu fahren, also das öffentliche Gut auszubeuten. Ein Kontrollor gehört her! Aber stellen wir uns vor, dass so eine schwarzkäpplerische Obrigkeit nicht existiert, also Anarchie herrscht. Was dann?

Nun, dann sollten wir die Missetäter selbst bestrafen. Aber das kostet uns etwas (Zeit und Aufwand, und das Risiko, dass sich der Schwarzfahrer rächt…). Im Experiment dürfen jetzt die Spieler die Ausbeuter bestrafen, aber das kostet sie etwas! Das Bestrafen wirkt, und verhindert das Schwarzfahren. Aber in Anbetracht der Kosten ist es besser, wenn ich es den anderen überlasse, die Schwarzfahrer bestrafen, und damit dafür zu sorgen, dass das öffentliche Gut nutzbar ist. Was ich dann aber mache, ist nichts anderes als Trittbrettfahren zweiter Ordnung! Wieder nutze ich andere aus!

Kann sich in so einer Situation das Bestrafen von Missetätern durchsetzen?

Strategien – Computersimulation [1,2]

Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, sich diesem Problem zu nähern. Ich möchte aus Zeitgründen nur einen Weg einschlagen, der dem Mathematiker besonders liegt, nämlich dem der Computersimulation, also ein rechnergestütztes Gedankenexperiment. Nehmen wir an, wir haben eine fiktive Population von (sagen wir) hundert Spielern. Jeder hat eine Strategie. Unsere Spieler sind also Roboter, jeder mit einem Verhaltensprogramm.

Zur Wahl stehen drei Strategien:

(a) zum öffentlichen Gut beizutragen, und Schwarzfahrer zu bestrafen;

(b) beizutragen, aber Schwarzfahrer nicht zu bestrafen (das sind die Trittbrettfahrer zweiter Ordnung;

(c) nicht beizutragen, und die anderen auszubeuten.

Von Zeit zu Zeit werden sechs Spieler zufällig ausgewählt aus der hundertköpfigen Roboterpopulation, um dieses Spiel gemäß ihrer Strategie zu spielen. Von Zeit zu Zeit können sie auch Strategie wechseln, und zwar, wie wir naheliegender weise annehmen wollen, eher zu einer Strategie mit höherer als mit geringerer Auszahlung. Ein simpler Lernprozess.

Die Auszahlung hängt natürlich davon ab, was die anderen in der Gruppe machen, hängt also von der Zusammensetzung der Bevölkerung ab; die Zusammensetzung wiederum hängt von den Auszahlungen ab, auf Grund des Lernprozesses; also ein Rückkoppelungskreis, wie bei einer Katze, die mit dem eigenen Schweif spielt.

Was passiert, ist unausweichlich. Die Neigung, Ausbeuter zu bestrafen, verschwindet, denn sie ist kostspielig. Die ungebremsten Ausbeuter übernehmen die Gesellschaft, und bald gibt es keine Kooperation mehr. Das soziale Dilemma (oder: die Tragödie der Allmende) hat voll zugeschlagen. Führen wir aber jetzt eine weitere, vierte Strategie ein. Nämlich

d) an dem gemeinsamen Unternehmen gar nicht teilzunehmen.

Dieses Unternehmen ist ja eine Spekulation; eine, die aufgeht, wenn alle kooperieren, aber fehlschlägt, wenn viele schwarzfahren. Es kann sein, dass risiko-scheue Spieler sich lieber nicht auf so eine Spekulation einlassen wollen. Dann tragen sie weder zur Gemeinschaftsleistung bei, noch nehmen sie diese in Anspruch. Was passiert jetzt?

Nun, erstaunlicherweise setzen sich jetzt, nach einer gewissen Lernphase, die Bestrafer durch, und die Bevölkerung kooperiert. Wohlgemerkt: es sind nicht die Eigenbrötler, die sich durchsetzen; aber sie wirken als Katalysatoren für die Emergenz der Zusammenarbeit.

Das war nur ein Computermodell. Wir können jetzt Varianten untersuchen. Zum Beispiel, dass die Spieler nicht auf eigene Faust bestrafen, sich also gewissermaßen persönlich rächen, sondern in einen Fonds einzahlen, der eine Obrigkeit (einen Sheriff, vielleicht) finanziert. Wieder sehen wir dasselbe. Wenn die Spieler am Spiel teilnehmen müssen, dann erlischt die Zusammenarbeit. Wenn die Teilnahme freiwillig ist, also Eigenbrötler vorkommen dürfen, dann setzt sich die Zusammenarbeit durch.

Dazu bedarf es bemerkenswerterweise gar keiner philosophischer Überlegungen und politischer Vereinbarungen, keiner höheren Offenbarung oder tieferen Einsicht. Bloßes Nachäffen erfolgreicher Verhaltensweisen führt schon zu dem Resultat. Andere Tierarten, wie etwa Bienen und Ameisen, kooperieren auch, aber nur innerhalb ihrer Familie (also des Bienenstocks, oder des Ameisenhaufens). Wir Menschen aber kooperieren auch mit Nichtverwandten, und das auf Grund zweier zusammengehöriger ‚Erfindungen‘ der Evolution, die unserer Spezies vorbehalten waren: einerseits Institutionen, die uns von außen, andrerseits Tugenden, die uns von innen steuern (und die ich aus Zeitmangel heute außer Acht lassen muss).

Spielen mit Gesellschaften - Die freiwillige Festlegung gehört zum Spiel

Unsere Computersimulationen sind Spiele mit fiktiven Gesellschaften. Von den Gesellschaftsspielen sind wir also zum Spielen mit Gesellschaften gelangt. Natürlich kann es bei derlei computergestützten Gedankenexperimenten nicht bleiben: alle Schlussfolgerungen müssen in wirklichen Gesellschaften getestet werden.

An der Wirklichkeit haben wir uns zu messen, und das liefert ein Riesen-Programm für historische, soziologische, anthropologische, psychologische und neurologische Untersuchungen!

Jedenfalls versprechen diese spieltheoretischen Modelle einige Einsicht. In unserem dritten Beispiel die Einsicht: Damit die Gemeinschaft trotz Sozialdilemma kooperiert, muss auf Ausbeutung Strafe stehen, wir müssen uns also einem Zwang unterwerfen. Aber das klappt besser, wenn das Unterwerfen freiwillig erfolgt, wir uns also freiwillig entscheiden, einander gegenseitig zu zwingen, zu kooperieren.

Was doch stark an den Sozialkontrakt erinnert! Der erste Satz in Jean Jacques Rousseaus Büchlein lautet: ‚Der Mensch wird frei geboren, und überall liegen die Menschen in Ketten‘. Das wird oft falsch übersetzt, mit ‚aber‘ statt ‚und‘, so als gäbe es eine Opposition zwischen den beiden Halbsätzen. Unsere simplen spieltheoretischen Modelle zeigen, dass dem nicht so ist. Sondern vielmehr: gerade weil wir uns frei entscheiden können für die Teilnahme, gerade weil der Ausweg des Eigenbrötlers offen steht, bleibt es profitabel, uns Zwängen zu unterwerfen. Wir legen uns fest. Die freiwillige Festlegung gehört zum Spiel.

Wir legen uns in Ketten, oder weniger pathetisch: wir zähmen uns gewissermaßen selbst. Haustiere, wie etwa Rinder und Schweine, haben wir erst im Lauf der letzten Jahrtausende domestiziert, Hunde (also Wölfe) seit höchstens hundert tausend Jahren, uns selbst vielleicht viel länger. Nicht homo homini lupus, sondern homo homini canes sollte es heißen!

Konrad Lorenz hat diese Idee der Selbstdomestikation diskutiert, leider in einer Arbeit, die er schrieb, als er einigermaßen infiziert war von nationalsozialistischem Gedankengut. Lorenz spricht von der Verhausschweinung des Menschen im denkbar abschätzigen Ton, und insinuiert einen Widerspruch zu den edlen Wilden, oder blonden Bestien, und ähnlicher Tarzan-Romantik! Das ist wohl Unsinn.

An der Selbstdomestikation ist aber etwas dran. Sie führt nicht, wie Lorenz glaubte, zu moralischem Verfall sondern im Gegenteil zur Ausbildung unserer Anlagen zu ethischen Normen und wechselseitiger Erziehung. Schon vor 200 Jahren hat der Zoologe Blumenthal, ein Lehrer Schopenhauers und Fakultätskollege von Gauss, den Menschen als das ‚vollkommenste aller Haustiere‘ bezeichnet.

Die Selbstzähmung des Menschen, im Sinn eines Sozialkontrakts, ist keine Entartung, sondern Ausgangspunkt seines unerhörten stammesgeschichtlichen Erfolgs. Zur Selbstzähmung gehört die menschliche Bereitschaft, freiwillig Regeln zu folgen: genau das ist es aber, was beim Spielen geschieht.

Wichtigste Funktion des Spieltriebs, beim Menschen, ist also vielleicht nicht, dass er dadurch seine Umgebung spielerisch erkundet, oder seinen Bewegungsapparat spielerisch trainiert, sondern dass er spielerisch lernt, mit Verhaltensregeln zu experimentieren. Dass er bei dieser fürs menschliche Überleben so wesentlichen Tätigkeit großen verspürt, verrät die Handschrift der natürlichen Auslese.

Die freiwillige Festlegung auf Regeln macht nicht nur das Spielen möglich, sondern ermöglicht die Kooperation, also das Gesellschaftswesen Mensch – den Homo ludens.


Einzelnachweise und Quellen

[1] Karl Sigmund, et al., (2010), Social learning promotes institutions for governing the commons. Nature 466:861-863

[2] T Sasaki, A Braennström, U Dieckmann, and K Sigmund (2012) The take-it-or-leave-it option allows small penalties to overcome social dilemmas. ProcNat AcadSci 109: 1165-69


Anmerkungen der Redaktion

Dieser Text entstand auf der Basis eines Referats mit dem Titel „Homo ludens: Offenheit, Wahrscheinlichkeit, Festlegung“, das am 27. September in der Österreichischen Akademie der Wissenschaften gehalten wurde. Der erste Teil des Referats ist unter dem Titel: „Homo ludens - Spiel und Wissenschaft“ am 15. November hier im Science-Blog erschienen.

Gefangenendilemma: die Interaktion zwischen zwei Spielern wurde erstmals - der Anschaulichkeit halber - durch zwei schuldige, räumlich getrennte Untersuchungshäftlinge dargestellt, die vor die Wahl gestellt werden zu leugnen oder zu gestehen. Kooperieren (= beide leugnen) bringt das beste Gesamtergebnis, für den Einzelnen ist es am sichersten zu gestehen. Die Bezeichnung Gefangenendilemma wird seitdem für alle „Spiele“ unter denselben Rahmenbedingungen (Interaktion zwischen 2 Spielern, 2 Strategien, ohne Möglichkeit der Absprache, symmetrische Auszahlung) angewandt.

Eine sehr gute Darstellung: „Das Gefangenendilemma als Paradigma von Kooperation - ZEIT Akademie Philosophie“ , 7:45 min


Weiterführende Links

Evolutionäre Spieltheorie. Von Gesellschaftsspielen zum Spielen mit Gesellschaften. (PDF-Download)

im Science-Blog:

Karl Sigmund Die Evolution der Kooperation

Karl Sigmund : Homo ludens - Spiel und Wissenschaft

Peter Schuster: Die Tragödie des Gemeinguts