Wirksame Spiele - wie kognitives Training die geistige Leistungsfähigkeit im Alter stärkt

So, 26.10.2025— Inge Schuster

Inge Schuster

Icon Gehirn

Mit Hilfe der nicht invasiven Positron-Emission-Spektroskopie liefert die INHANCE Studie erstmals den neurobiologischen Mechanismus für die Wirksamkeit eines als "Geschwindigkeitstraining" bezeichneten, Computer-gestützten Trainings bei alten Menschen: Ein solches kognitives Training kurbelt die Produktion des Neurotransmitters Acetylcholin in Gehirnregionen an, die eine essentielle Rolle in Aufmerksamkeit, Lernen. Gedächtnis und Problemlösung spielen und die positiven Effekte bleiben auch nach Ende des Trainings noch längere Zeit erhalten. Um effizient zu sein, muss das Training allerdings mehrere kognitive Bereiche wie Gedächtnis, Aufmerksamkeit und Verarbeitungsgeschwindigkeit der Informationen gleichzeitig ansprechen. Es ist dies eine vielversprchende, praktisch risikofreie Strategie, die die geistige Leistungsfähigkeit bis ins hohe Alter erhalten/verbessern kann, dabei kaum Kosten verursacht und dazu beiträgt die mechanistischen Veränderungen der alternden Gehirnfunktionen zu verstehen. 

Mit zunehmendem Alter kommt es auch bei ansonsten gesunden Erwachsenen zu einem natürlichen Rückgang der kognitiven Funktionen. Diese stehen im Zusammenhang mit Störungen der sogenannten cholinergen Signalübertragung, d.i. mit Störungen des Systems von Synthese, Transport, Freisetzung, Rezeptorbindung und Inaktivierung des essentiellen Neurotransmitters und Neuromodulators Acetylcholin. Abbildung 1. Es gibt kaum eine Gehirnfunktion, die nicht zumindest teilweise von Acetylcholin beeinflusst wird. Die Acetylcholin-Signalübertragung ist maßgeblich in die Prozesse des Lernens, des Gedächtnisses, der Aufmerksamkeit und der Problemlösung involviert. An Tier- und Humanmodellen wurde bestätigt, dass eine Stimulierung der Acetylcholin-Freisetzung die kognitive Leistungsfähigkeit verbessert, eine Hemmung aber verschlechtert und die Fähigkeit (Plastizität) des Gehirns sich an Umweltbedingungen anzupassen verringert.

Abbildung 1. Der Neurotransmitter Acetylcholin (ACh): Schematische Darstellung von Synthese, Transport, Signalübertragung und Inaktivierung an einer cholinergen Synapse. Die Synthese via Cholinacetyltransferase erfolgt aus mitochondrial produziertem Acetyl-CoA und aus Cholin, das über einen Carrier (ChT-1) aus dem extrazellulären Raum in das Cytosol des präsynaptischen Neurons gelangt,. ACh wird über den Transporter VAChT in kleine Speichervesikel aufgenommen. Wenn ein Aktionspotential an das Ende des präsynaptischen Neurons gelangt, löst es die Freisetzung von ACh in den synaptischen Spalt aus, wo seine Bindung an spezifische nikotinische und muskarinische Rezeptoren an der Membran des postsynaptischen Neurons zur Signalübertragung führt. Der Abbau von ACh durch Acetylcholinesterase beendet das Signal und verhindert so eine Dauererregung des Neurons. (Bild modifiziert nach: Jochen Klein, The Central Cholinergic Synapse: A Primer. Int. J. Mol. Sci. 2025, 26(19), 9670; https://doi.org/10.3390/ijms26199670.. Lizenz: cc-by)

Mit steigendem Lebensalter sinken Acetylcholinspiegel und cholinerge Funktion um schätzungsweise 2,5 % pro Jahrzehnt - bei Demenz allerdings wesentlich schneller - und kognitive Störungen nehmen zu. Noch beherrschbare kognitive Veränderungen gehen frühen Stadien eines pathologischen kognitiven Abbaus voraus und können schließlich zur Atrophie des neuronalen Netzwerks beitragen. Alter ist ja der stärkste bekannte Risikofaktor für Demenzerkrankungen, von denen 60 - 80 % auf Alzheimer Erkrankungen zurückgeführt werden. Ab einem Alter von 65 Jahren verdoppelt sich die Zahl der daran Erkrankten etwa alle fünf Jahre - von etwa 2 % in der Altersgruppe der 65- bis 69-Jährigen bis zu einem Drittel der 90-bis 94-Jährigen. [1] In Anbetracht der demographischen Entwicklung unserer Industrieländer sind dies recht trübe Aussichten für die Zukunft.

Die Suche nach wirksamen Maßnahmen

zur Verbesserung und Erhaltung der kognitiven Fähigkeiten in der älteren Bevölkerung ist daher zu einem enorm dringlichen Forschungsgebiet geworden. In Tausenden Studien wurden und werden unterschiedliche pharmakologische und nicht-pharmakologische Ansätze untersucht. Mittel, die die Inaktivierung von Acetylcholin verhindern (Inhibitoren der Acetylcholinesterase) und dadurch seine Konzentration an den Synapsen erhöhen sollen (siehe Abbildung 1), haben ein sehr schlechtes Nutzen-Risiko-Verhältnis und sind weder zur Prävention noch zur Behandlung milder kognitiver Beeinträchtigung zugelassen (sie werden klinisch - wenig erfolgreich - nur bei diagnostizierter Alzheimer-Erkrankung eigesetzt).

Evidenz besteht aber dafür, dass kognitives Training dazu beitragen kann einige der altersbedingten Veränderungen zu verbessern. In der bislang größten Studie ACTIVE (Advanced Cognitive Training for Independent and Vital Elderly) an rund 2800 anfänglich gesunden älteren Personen wurde die Wirksamkeit von drei unterschiedlichen kognitiven Trainingsprogrammen untersucht. Die Gruppe, die ein von den Autoren kurz als "Geschwindigkeitstraining" bezeichnetes Programm zur Steigerung der visuellen Verarbeitungsgeschwindigkeit bei gleichzeitiger Zunahme der selektiven Aufmerksamkeit absolvierte (das BrainHQ-Programm-Double Decision von Posit Science [2]), hatte nach 10 Jahren Nachbeobachtung ein um 29 % - 48 % geringeres Risiko für Demenz als eine unbehandelte Kontrollgruppe [3]. Diese Art des Trainings führte in weiteren Studien auch zu einem niedrigeren Risiko für ein Absinken der Lebensqualität. In den von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) veröffentlichten Praxisleitlinien für 2024 wird kognitives Training bereits als evidenzbasierte Maßnahme für Menschen mit Demenz empfohlen [4].

Welche neurobiologischen Mechanismen dieser nicht-pharmakologischen, nebenwirkungsfreien Strategie zugrunde liegen, war bislang noch weitgehend unbekannt.

Die INHANCE-Studie

Abbildung 2. Geschwindigkeitstrainingsprogramme (Intervention) und aktive Kontrollprogramme. Die Intervention umfasste zwei Aufgaben des BrainHQ-Programms [2]: „Double Decision“, ein Programm, bei dem gleichzeitig visuelle Verarbeitungsgeschwindigkeit und Aufmerksamkeit trainiert werden. Die Teilnehmer nehmen einen im Zentrum präsentierten visuellen Reiz (hier ein Auto) wahr und lokalisieren gleichzeitig ein Zielobjekt im peripheren Gesichtsfeld, das an über 40 verschiedenen Stellen auftaucht, wobei die Anzeigedauer als adaptive Dimension sich dem Fortschritt des Benutzers anpasst. „Freeze Frame“, eine Übung zur schnellen und genauen Kontrolle von Aufmerksamkeit und Reaktionshemmung. Die Teilnehmer merken sich ein zu Beginn der Sitzung präsentiertes Zielbild, das von einem kontinuierlichen, mit unterschiedlicher Wahrscheinlichkeit erscheinendem Strom von Zielbild und Ablenkungsbildern gefolgt wird, wobei keine Reaktion auf das Zielbild, aber schnelle Reaktion auf Ablenkungsbilder erfolgen soll. Der zunehmende Schwierigkeitsgrad Zielbild und Ablenkungsbilder zu unterscheiden, passt sich dem Fortschritt des Benutzers an. Die aktive Kontrolle umfasste Abwandlungen von Unterhaltungssspielen: Double Klondike Solitaire, bei dem die Teilnehmer Karten nach Farben von Ass bis König auf 8 Ebenen verschieben und Bricks Breaking Hex, bei dem die Teilnehmer Gruppen von gleichfarbigen Steinen durch Anklicken eliminieren.(Bild: Figure 1 aus Attarha M. et al.,2025. doi: 10.2196/75161 [5]. Lizenz: cc-by)

Fortschritte in der Positronen-Emissions-Tomographie (PET) ermöglichen die nichtinvasive in-vivo-Messung des Acetylcholin-Systems im menschlichen Gehirn. Verwendet wird dabei eine [18F]-markierte Substanz, die selektiv an das ausschließlich von cholinergen Neuronen exprimierte, für Speicherung, Transport und Freisetzung von Acetylcholin maßgebliche Protein VAChT - als Maß für die Acetylcholin-Produktion - bindet (siehe Abbildung 1). Mit Hilfe dieser Methode ist einer Forschergruppe von der McGill University (Montreal, QC, Canada) nun erstmals der Nachweis gelungen, dass spezielle kognitive Trainingsübungen eine signifikante Steigerung der Acetylcholin-Produktion hervorrufen. Die Ergebnisse der Improving Neurological Health in Aging via Neuroplasticity-based Computerized Exercise (INHANCE) Studie, die in Zusammenarbeit mit Posit Science (der Entwicklerfirma des kognitiven Trainingsprogramms Brain HQ [2]) erfolgte, sind vergangene Woche in der Fachzeitschrift JMIR Serious Games erschienen [5].

Bei der Studie handelt es sich um eine randomisierte kontrollierte Studie an der 92 anfänglich gesunde, in Gemeinschaft lebende ältere (> 65 Jahre) Erwachsene teilnahmen. Die Probanden verbrachten 10 Wochen lang täglich 30 Minuten mit Computer-gestütztem Training: Eine Gruppe mit von Soltaire und Candy Crush abgeleiteten, der Unterhaltung dienenden Spielen (Double Klondike Solitaire und Bricks Breaking Hex), die andere Gruppe mit zwei Übungen - Double Decision und Freeze Frame - des wissenschaftlich validierten Online Programms BrainHQ [2], die in Abbildung 2 kurz beschrieben sind.

Die Auswirkungen der Trainingsprogramme

wurden dann mittels PET auf die Bindung des [18F]-Radioliganden im anterioren cingulären Kortex untersucht und quantifiziert; diese Gehirnregion ist an einer Vielzahl von kognitiven Prozessen beteiligt, u.a. an Aufmerksamkeitsprozessen, Erkennen von Fehlern, Belohnungslernen, Entscheidungen und Verarbeitung von Schmerz. Die Messungen wurden zu Beginn der Studie, nach dem Test und anlässlich einer Nachuntersuchung 3 Monate später durchgeführt, um die Erhaltung beobachteter Effekte zu messen.

Abbildung 3. Veränderung der Bindung des [18F]-Radioliganden im anterioren cingulären Kortex. A) Nach 10 Wochen Training im Vergleich zum Ausgangswert. Jeder Punkt ist der Änderungswert eines einzelnen Teilnehmers. Höhere Werte weisen auf einen stärkeren Anstieg der Bindung hin. B) Bindungsänderung nach dem Test gemittelt über die Teilnehmer. Oben Intervention, unten Kontrolle. Wärmere Farben zeigern stärkeren Anstieg der Bindung an. (Bild Figure 3 leicht modifiziert aus Attarha M. et al.,2025. doi: 10.2196/75161 [5]. Lizenz: cc-by.)

Das Ergebnis war verblüffend: Am Ende des Trainings zeigte die Brain HQ-Gruppe im anterioren cingulären Kortex einen signifikanten Anstieg der Acetylcholin-Produktion um 2,3 % (Abbildung 3), einem Wert, der bei normaler Alterung einem um 10 Jahre jüngeren Alter entsprechen würde (wie oben erwähnt, sinkt der Acetylcholin-Spiegel kontinuierlich um etwa 2,5 % im Jahrzehnt).

Signifikant erhöhtes Acetylcholin wurde auch in verschiedenen anderen Hirnregionen festgestellt: im Hippocampus, der für das Gedächtnis eine essentielle Rolle spielt, betrug der Anstieg 4,7 %, im Gyrus parahippocampalis gar 5,3 % - diese an den Hippocampus angrenzende Gehirnregion leitet Signale an andere Bereiche der Großhirnrinde weiter, spielt eine wichtige Rolle in der räumlichen Orientierung und ist an Speicherung und Abruf von Erinnerungen und an der Verarbeitung emotionaler Prozesse beteiligt.

Im Gegensatz dazu blieb der Acetylcholinspiegel der Gruppe, die Double Klondyke Solitaire und Bricks Breaking Hex spielten, unverändert (Abbildung 3).

Bei der Nachuntersuchung, drei Monate nach Trainingsende, zeigte sich , dass die erhöhte Acetylcholinproduktion erhalten geblieben war, dass also die Erfolge des relativ kurzen intensiven Trainings über längere Zeit Bestand hatten.

Fazit

Der Neurotransmitter Acetylcholin spielt eine essentielle Rolle in Prozessen wie Aufmerksamkeit, Lernen, Gedächtnis und Problem-Lösung; seine Produktion nimmt mit steigendem Alter ab und kognitive Verschlechterungen nehmen zu. Die INHANCE Studie zeigt erstmals, dass intensives kognitives Training die Produktion des Neurotransmitters Acetylcholin in älteren Menschen ankurbeln und auch nach Ende des Trainings über längere Zeit erhalten kann. Die Voraussetzung für solche Ergebnisse ist ein Gehirntraining, das mehrere kognitive Bereiche wie Gedächtnis, Aufmerksamkeit und Verarbeitungsgeschwindigkeit der Informationen gleichzeitig anspricht. Einfachere geistige Beschäftigungen wie Solitaire -Spielen reichen offensichtlich für ein effizientes Gehirntraining nicht aus - dies dürfte auch für andere empfohlene Aktivitäten wie Lesen, Malen, Kreuzworträtsel-Lösen, etc. der Fall sein.


[1] Alzheimer's Society: https://www.alzheimers.org.uk/about-dementia/managing-the-risk-of-dementia/risk-factors-for-dementia.

[2] Posit Science (San Francisco, Cf.US): BrainHQ. https://www.brainhq.com/about

[3] Edwards JD, et al., Speed of processing training results in lower risk of dementia. Alzheimers Dement (N Y). Nov 2017;3(4):603-611. [doi: 10.1016/j.trci.2017.09.002]

[4] World Health Organization (WHO). Psychological Interventions Implementation Manual: Integrating Evidence-Based Psychological Interventions into Existing Services. Geneva, Switzerland. World Health Organization; 2024.

[5] Attarha M, et al., Effects of Computerized Cognitive Training on Vesicular Acetylcholine Transporter Levels using [18F]Fluoroethoxybenzovesamicol Positron Emission Tomography in Healthy Older Adults: Results from the Improving Neurological Health in Aging via Neuroplasticity-based Computerized Exercise (INHANCE) Randomized Clinical Trial. JMIR Serious Games 2025;13:e75161. doi: 10.2196/75161.