Die CoDiet-Studie: Auf dem Weg zur Bekämpfung ernährungsbedingter Erkrankungen

Sa, 1.11.2025 - — Redaktion

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Im Verstehen, wie Ernährung mit der Entwicklung von nicht-übertragbaren Krankheiten wie Diabetes, Adipositas oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen zusammenhängt, gibt es große Wissenslücken. Die Methoden zur Erfassung von Ernährungsdaten sind derzeit zu ungenau, die Mechanismen der Krankheitsentwicklungen kaum bekannt. Das im Rahmen des Forschungsrahmenprogramms der EU laufende vierjährige Projekt CoDiet will mit innovativen, KI-gestützten Methoden zur Überwachung und Bewertung der Ernährungsgewohnheiten diese Wissenslücken schließen. Das Ziel ist die Entwicklung von KI-Tools, die personalisierte Empfehlungen zu einer optimierten Ernährung der Bevölkerung ermöglichen.*

 

Bei Studien zu ernährungsbedingten Erkrankungen besteht eine der größten Herausforderungen darin, dass man erfasst, was die Versuchspersonen tatsächlich essen. Diät-Tagebücher, 24-Stunden-Ernährungsprotokolle und Fragebögen zur Häufigkeit der Nahrungsaufnahme leiden unter dem Manko, dass Menschen vergesslich sind, Portionsgrößen falsch einschätzen und eine weniger gesunde Wahl herunterspielen.

Um dieses Problem anzugehen, versuchen Forscher in einem von der EU finanzierten Projekt nun etwas Neues: Ene unauffällig zu tragende Kamera im Verein mit künstlicher Intelligenz. Dieses System stellt in Echtzeit automatisch die Art der Nahrungsmittel fest und schätzt die Portionsgrößen und liefert damit ein verlässlicheres Bild der alltäglichen Essgewohnheiten. Die aufgenommenen Bilder werden anschließend mithilfe von Künstlicher Intelligenz analysiert.

Die Kamera soll eine Woche lang ganztägig getragen werden und der Vorgang dreimal mit einer Pause von jeweils 2 - 3 Wochen wiederholt werden. Parallel dazu werden am Handgelenk Aktivitätsmonitore getragen, die körperliche Aktivität und Schlafmuster messen. (Anm. Redn.)

Zeichne die morgendliche Routine auf: Du öffnest den Kühlschrank, um das Frühstück zu bereiten. Eine kleine an Deinen Brillen befestigte Kamera zeichnet auf, was auf Deinem Teller landet. Da gibt es keine bloßen Vermutungen und keine Möglichkeit etwas zu verschleiern.

Überwachen, was Du isst

Die Technologie wird in CoDiet, einer vier Jahre bis Ende 2026 laufenden Zusammenarbeit getestet. Daran beteiligt sind 17 Institutionen aus 10 Europäischen Ländern (EU-Staaten und dem UK), die erkunden wollen, wie die Ernährung zu nicht-übertragbaren Krankheiten wie Diabetes, Adipositas und Herz-Kreislauf-Erkrankungen beiträgt.

Rund 200 Teilnehmer aus ganz Europa haben bereits die Kamera täglich getragen, die Studie hat Dr. Aygul Dagbasi geleitet, eine Ernährungsexpertin und PostDoc Forscherin am Imperial College in London. "Die Leute waren motiviert teilzunehmen", so Dagbasi, "weil sie dadurch ein besseres Verständnis für ihre Ernährung und deren Auswirkungen auf ihre Gesundheit bekamen."

Der wesentliche Pluspunkt ist Objektivität. "Wenn wir Personen fragen, was sie essen, entspricht die Antwort nur ihrer Sichtweise" fährt sie fort. "Wenn wir nicht wissen, was die Menschen tatsächlich essen, werden wir mit unseren Ergebnissen und Empfehlungen falsch liegen."

Eine Darstellung der Gesundheit

Die CoDiet Forscher gehen noch weiter, indem sie die Nahrungsmittel-Aufzeichnungen mit der KI-gestützten Analyse von Biomarkern in Blut-und Urinproben kombinieren. Unter Berücksichtigung von Genetik, Stoffwechsel und Darm-Mikrobiom hoffen sie erklären zu können, warum auf die gleiche Diät nicht alle in gleicher Weise reagieren.

Als nächster Schritt soll ein Instrument geschaffen werden, das personalisierte Diät-Empfehlungen gibt, mit Studien, die in Griechenland, Irland, Spanien und UK laufen sollen.

"Wir hoffen, dass dies die Ernährungsempfehlungen mehr personalisiert und effizienter, aber auch besser zugänglich machen wird," sagt Dagbasi. "In vielen Teilen der Welt gibt es nur begrenzten Zugang zu einem qualifizierten Ernährungsberater." Das bedeutet, dass die am meisten vulnerablen Gruppen - Kinder, Teenager und Alte - häufig nicht die Hilfe erhalten, die sie brauchen."

Es gibt keinen für alle passenden Universalansatz

Um der Adipositas vorzubeugen, braucht es um Vieles mehr als das, was am Teller sichtbar wird.

"Der Zusammenhang zwischen Ernährung und Gesundheit ist überaus komplex," sagt Dr. Itziar Tueros, Leiter des Food and Health Department am AZTI, einem führenden Forschungszentrum im Baskenland, der Koordinator des CoDiet Forschungsteams ist. "Der Stoffwechsel jedes Einzelnen ist einzigartig, dass bedeutet, dass Menschen auf die gleiche Ernährung sehr unterschiedlich reagieren."

Außer der personalisierten Beratung prüft das CoDiet Team die Ernährungs-Richtlinien in sechs EU-Staaten. Sie sehen sich an, wie Vorschriften, Ausbildung und besserer Zugang zu gesunder Nahrung die Erkrankungsfälle in ganzen Gemeinschaften reduzieren könnten.

"Unser Ziel ist es Tools zu entwickeln, die dem Einzelnen helfen eine bessere Auswahl zu treffen und gleichzeitig Evidenz-basierte Strategien, um die Prävention von Adipositas und Reduktion chronischer Krankheiten zu unterstützen," so Tueros.

Europas Vorstoß in Richtung Prävention

Die CoDiet Forschung ist Teil einer breiteren Europäischen Offensive gegen Adipositas und für die Stärkung einer präventiven Gesundheitsvorsorge.

In den letzten Jahrzehnten hat die Adipositas epidemische Ausmaße angenommen, die weltweit mehr als eine Milliarde Menschen betrifft. In der EU sind mehr als die Hälfte der Erwachsenen übergewichtig oder adipös und die Zahlen steigen rasch. Abbildung.

Übergewicht und Adipositas in Europa Übergewicht ist definiert mit einem BMI von 25 - 29,9kg/m2, Adipositas mi einem BMI ab 30,0kg/m2. Quelle: Eurostat – Overweight and obesity statistics. https://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php?title=Overweight_and_obesity_-_BMI_statistics#Context

Besonders bedenklich ist die Fettsucht bei Kindern - laut der World Obesity Federation wird sich deren Zahl im Zeitraum von 2020 bis 2035 verdoppeln.

"Die Zunahme der Adipösen ist derzeit alarmierend", warnt Dagbasi. "Wir sehen, dass Menschen in verschiedenen Ländern unterschiedliche Essgewohnheiten haben, doch wir haben überall das gleiche Problem der Adipositas."

Die EU antwortet darauf mit der Unterstützung von neun Forschungsprojekten, die - zusammen mit CoDiet - den Europäischen Cluster OBEclust (European cluster of obesity research projects) bilden. Diese Collaborationen sollen Wissen bündeln, um die Risiken besser zu verstehen, Prävention und Verhaltensänderung voranzutreiben und personalisierte Empfehlungen für die Beibehaltung eines gesunden Gewichts über die gesamte Lebenszeit zu entwickeln.

"Eine multidisziplinäre Strategie ist hier notwendig" sagt Dagbasi. "Wenn Du allein bist kannst Du vielleicht schneller gehen, aber Du kommst nicht weiter."

Personalisierte Risiken für die Jugend

Ein anderes OBEclust Projekt -PAS GRAS - ist auf das individuelle Risiko von Kindern und Jugendlichen fokussiert. Paulo Oliveira, Vizepräsident des Center for Neuroscience and Cell Biology an der University of Coimbra, Portugal, koordiniert das 5-Jahres Projekt, das bis 2028 läuft.

"Es ist wichtig vorherzusagen, für wen das Risiko am größten ist - Fettsucht entwickelt sich ja nicht so einfach, wie sich die Leute das vorstellen," sagt Olivera. "Es gibt hier das Stigma, dass Leute einfach zu viel essen und sich nicht ausreichend bewegen. Tatsächlich sind es viele Faktoren, die sich auf die Entstehung von Adipositas auswirken."

16 Organisationen in EU-Staaten und dem UK entwickeln neue Tools, um das Risiko für Adipositas und die Wahrscheinlichkeit von damit verbundenen Gesundheitsproblemen vorherzusagen. "Auch, wenn Adipositas mit vielen Gesundheitsproblemen verbunden ist, entwickelt diese jeder Patient auf unterschiedliche Art, und wir wissen noch nicht warum, das so ist," so Olivera.

Mediterrane Diät

Die Forscher von PAS GRAS entwickeln auch Änderungen des Lifestyles, welche die Mediterrane Diät in den Mittelpunkt stellen. Sie identifizieren welche Moleküle im traditionellen Essen den Stoffwechsel anregen, Fette verbrennen oder den Appetit regulieren.

Beispielsweise untersuchen sie die antioxidativen, antientzündlichen und verdauungsfördernden Eigenschaften von Pilzen und Za'atar, einer Mischung von Kräutern und Gewürzen aus dem Mittleren Osten, um herauszufinden ob diese das Bauchfett reduzieren und die Stoffwechsel-Gesundheit verbessern können.

Diese Erkenntnisse mit Denen zu teilen, die sie nötig haben, ist eine andere Herausforderung. Das Team hat Bildungsinitiativen für Kinder und junge Erwachsene eingerichtet mit Malbüchern, Comics und einem Videospiel, die ihnen helfen sollen zu verstehen, wie Ernährung und Lebensstil sich auf ihren Körper auswirken.

Wie CoDiet wird auch PAS GRAS Empfehlungen für politische Entscheidungen geben. Oliveira, der auch Vorsitzender in OBEClust ist, betont, dass zu einer echten Veränderung gemeinsame Beiträge erforderlich sind. "Für politische Veränderungen, braucht es Evidenz nicht nur aus einer, sondern aus mehreren Studien. Zusammenarbeit hilft uns eine gemeinsame Basis für gemeinsame Politik zu schaffen."

Prävention im Fokus

Die Botschaft der Forscher ist klar: Prävention muss im Zentrum stehen.

"Wir behandeln Adipositas in reaktiver Weise. Wir versuchen es zu therapieren anstatt es zu verhüten", sagt Olivera."Wir müssen mehr auf die Prävention fokussieren und die Risiken reduzieren, solange noch Zeit ist."

Tueros stimmt zu. "Eine offene internationale Zusammenarbeit wird uns hoffentlich helfen unser wichtigstes Ziel zu erreichen - Auswirkungen auf die reale Welt. Mit neuen Lösungen für Patienten und medizinische Fachkräfte."

Der Zusammenhang zwischen Adipositas und anderen chronischen Erkrankungen ist gut etabliert. Eine aktuelle Untersuchung im Fachjournal Global Heart warnt davor, dass der Anstieg der Adipositas weltweit zu mehr Herz-Kreislauferkrankungen führt.

Diese sind bereits primäre Todesursache in Europa und die Europäische Kommission arbeitet einen EU-kardiovaskulären-Gesundheitsplan aus. Das Ziel ist Herz-Kreislauferkrankungsbedingte vorzeitige Todesfälle zu reduzieren indem ein gesünderer Lebensstil gefördert, Adipositas verhindert und frühzeitige Diagnose und Behandlung verbessert wird.

"Adipositas ist eine der wichtigsten Gesundheitsprobleme unserer Zeit, wir müssen sie in Angriff nehmen" sagt Dagbasi. "Mit einem ganzheitlichen Bild der Ursachen, werden wir das Problem besser lösen können."


EU-Projekte zum Thema ernährungsbedingte Erkrankungen:

CoDiet (CORDIS): COMBATTING DIET RELATED NON-COMMUNICABLE DISEASE THROUGH ENHANCED SURVEILLANCE. https://cordis.europa.eu/project/id/101084642

CoDiet project website: https://www.codiet.eu/

PAS GRAS (CORDIS): DE-RISKING METABOLIC, ENVIRONMENTAL AND BEHAVIORAL DETERMINANTS OF OBESITY IN CHILDREN, ADOLESCENTS AND YOUNG ADULTS. https://cordis.europa.eu/project/id/101080329

PAS GRAS project website: https://pasgras.eu/en/home


* Dieser Artikel wurde ursprünglich am 16. Oktober 2025 von Michaela Nesvarova in Horizon, the EU Research and Innovation Magazine unter dem Titel "Linking diet and health: Europe’s drive to curb cardiovascular diseases and obesity" https://projects.research-and-innovation.ec.europa.eu/en/horizon-magazine/linking-diet-and-health-europes-drive-curb-cardiovascular-diseases-and-obesity publiziert. Der unter einer cc-by-Lizenz stehende Artikel wurde von der Redaktion möglichst wortgetreu aus dem Englischen übersetzt und mit Ausnahme von Titel, Abstract und einem ergänzten Bild im Wesentlichen unverändert in den Blog gestellt.


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