Das demografische Wettrennen neu denken: Wie sieht das wirtschaftliche Potenzial Indiens und Chinas in der Zukunft aus?
Das demografische Wettrennen neu denken: Wie sieht das wirtschaftliche Potenzial Indiens und Chinas in der Zukunft aus?Do, 3.7.2025 — IIASA
Indien hat China als bevölkerungsreichstes Land der Welt bereits überholt- Es stellt sich damit die Frage, ob dieser demografische Wandel dazu führen wird, dass Indien China auch wirtschaftlich überholt. In einer aktuellen Studie haben Forscher des International Institute for Applied Systems Analysis (IIASA, Laxenbug bei Wien) diesen demografischen Wettlauf über die reine Bevölkerungszahl hinaus untersucht. Anhand mehrdimensionaler demografischer Prognosen nach Alter, Geschlecht, Bildungsstand und Erwerbsbeteiligung zeigen sie, dass China wohl derzeit demografische Probleme hat; diese werden aber seine führende Stellung vor Indien für den größten Teil des nächsten halben Jahrhunderts nicht unbedingt gefährden, da Indien hinsichtlich des Bildungsniveaus und der Erwerbsbeteiligung von Frauen im Nachteil ist.*
Die demografische Entwicklung in Indien und China hat erhebliche Auswirkungen auf die globale Wirtschaftsentwicklung. Um den demografischen Wettlauf zwischen den beiden Ländern neu zu bewerten, haben sich Forscher des IIASA auf das Humankapital und die Qualität der Arbeitskräfte anstatt auf die Bevölkerungsgröße oder Altersstruktur konzentriert und die produktivitätsabhängige Arbeitsleistung (productivity-weighted labor force - PWLF) untersucht, die sowohl die Bildungsstruktur der Bevölkerung als auch die Qualität des Bildungssystems berücksichtigt.
Die Ergebnisse der Studie wurden eben im Fachjournal Population Research and Policy Review veröffentlicht [Marois et al., 2025]. Diese weisen darauf hin, dass China aufgrund seiner besser ausgebildeten und in höherem Ausmaß erwerbsbeteiligten Arbeitskräfte wahrscheinlich für den größten Teil des nächsten halben Jahrhunderts seine wirtschaftliche Führungsposition behalten wird, obgleich Indien China bei der Gesamtbevölkerung überholt hat. Abbildung.
Diese Befunde stellen die gängige Annahme in Frage, dass die rasche Alterung der Bevölkerung in China und die jüngere und größere Bevölkerung Indiens automatisch zu einer wirtschaftlichen Dominanz führen werden.
Abbildung. Alterspyramiden nach Bildungsstand und Erwerbsbeteiligung. Geringe Bildung: Unterhalb der Sekundarstufe II. Mittlere Bildung: Sekundarstufe II. Hohe Bildung: Postsekundär. (Bild von Redaktion leicht modifiziert eingefügt: aus Marois et. 2025 [1] Quelle: Berechnungen der Autoren auf der Grundlage von WIC-Prognosen (Wittgenstein Centre for Demography and Global Human Capital, 2023), der periodischen Arbeitskräfteerhebung 2017–2018 und der China General Social Survey 2012–2021.) |
„Es geht nicht darum, wie viele Menschen man hat, sondern darum, was sie leisten können“, erklärt Guillaume Marois, Forscher am IIASA und Mitautor der Studie. „Regierungen sollten sich weniger auf die Anzahl der Menschen konzentrieren – beispielsweise durch die Förderung von Maßnahmen, die Frauen dazu ermutigen, mehr Kinder zu bekommen –, sondern vielmehr darauf, dass jeder die Möglichkeit erhält, sein volles Potenzial auszuschöpfen und einen Beitrag zur Gesellschaft zu leisten.“
Die Autoren betonen, dass Indiens anhaltendes Bevölkerungswachstum und seine enorme junge Bevölkerung zwar letztendlich zu einem wirtschaftlichen Vorteil werden könnten, dies jedoch nur dann der Fall sein kann, wenn das Land erhebliche Investitionen in die Bildung tätigt und die Ungleichheit der Geschlechter bei der Erwerbsbeteiligung verringert. Untersuchungen zeigen, dass Indien in Bezug auf die PWLF China bis zum Ende des Jahrhunderts möglicherweise nicht einholen kann, wenn sich die Erwerbsbeteiligung und Bildung von Frauen in Indien nicht verbessern.
Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass für Indien Maßnahmen zur Ausweitung der Bildung, insbesondere für Frauen, und zum Abbau von Hindernissen für die Erwerbsbeteiligung von Frauen von entscheidender Bedeutung sind, wenn das Land seine demografische Dividende realisieren will. Für China werden die Aufrechterhaltung einer hohen Bildungsqualität und die Anpassung an eine alternde Erwerbsbevölkerung durch Automatisierung, Anhebung des Rentenalters und Steigerung der Produktivität der Schlüssel zur Aufrechterhaltung der Wirtschaftskraft sein.
„Der demografische Wettlauf zwischen den Giganten wird mehr von der Entwicklung des Humankapitals als von der Gesamtbevölkerungszahl bestimmt werden“, folgert Marois. „Investitionen in Gesundheit, Bildung, Einkommenssicherung, Armutsbekämpfung und die Förderung eines produktiven, integrativen Arbeitsmarktes, der menschenwürdige Arbeitsplätze bietet, sind für die künftige wirtschaftliche Entwicklung in China, Indien und auf der ganzen Welt von entscheidender Bedeutung.“
Diese Studie ist das Ergebnis einer Zusammenarbeit zwischen Forschern des IIASA, des Asian Demographic Research Institute (Shanghai University) und der Hong Kong University of Science and Technology.
Marois, G., Gietel-Basten, S. & Lutz, W. (2025) The Demographic Race between India and China. Population Research and Policy Review, https://doi.org/10.1007/s11113-025-09966-y
* Der Artikel "Rethinking the demographic race: what is the future economic potential of India and China?" ist am 24.Juni 2025 auf der IIASA Website erschienen (https://iiasa.ac.at/news/jun-2025/rethinking-demographic-race-what-is-future-economic-potential-of-india-and-china) Der unter einer cc-by-nc-Lizenz stehende Artikel wurde von der Redaktion übersetzt und eine Abbildung aus der zugrundeliegenden Publikation [Marois et al., 2025] wurde eingefügt. IIASA hat freundlicherweise der Veröffentlichung der Inhalte seiner Website und Presseaussendungen in unserem Blog zugestimmt.