Eurobarometer 478: zum Wissenstand der EU-Bürger über Antibiotika, deren Anwendung und Vermeidung von Resistenzentstehung

Do, 22.11.2018 - 06:07 — redaktion Vorname ZunameIcon Medizin

Dass Mikroorganismen - Bakterien, Pilze, Protozoen - und ebenso Viren zunehmend Resistenz gegen antimikrobielle Substanzen entwickeln, für die sie vordem hochsensitiv waren, ist ein natürlicher Vorgang der Evolution. Ein übermäßiger/unsachgemäßer Einsatz der gegen Bakterien wirksamen Antibiotika hat so (multi-)resistente Keime entstehen lassen, gegen die auch die potentesten Reserve-Antibiotika nichts mehr ausrichten - Infektionen mit resistenten Keimen führen im EU-Raum jährlich zu mehr als 25 000 Todesfällen. Mit dem Ziel Antibiotika gezielt und maßvoll anzuwenden befragt die EU-Kommission seit 2009 ihre Bürger hinsichtlich ihres Wissens um Antibiotika, deren Gebrauch und Risiken. Die Ergebnisse der letzten Umfrage im September 2018 liegen nun im Special Eurobarometer 478 vor [1].

Der rasche Anstieg der Lebenserwartung im 20. Jahrhundert ist - neben besserer Ernährung und Hygiene - vor allem vor allem auf die wirksame Bekämpfung von Infektionskrankheiten, insbesondere von bakteriellen Infektionen, mit Medikamenten und Vakzinen zurückzuführen. Rund 200 unterschiedliche antimikrobielle Wirkstoffe gegen verschiedene Erreger im Human- und Veterinärsektor stehen heute zur Verfügung - darunter Antibiotika, die gegen ein weites Spektrum von Bakterien wirken (Breitband-Antibiotika) und solche die spezifisch gegen einzelne Keime gerichtet sind.

Resistenzentstehung…

Allerdings hat mit steigender Anwendung der Antibiotika deren Wirksamkeit abgenommen. Die Erreger werden dagegen in stark zunehmendem Maße resistent. Es ist dies ein Evolutionsprozess basierend auf Genmutation und natürlicher Selektion: Auf Grund der raschen Zellteilung bei einer relativ hohen Mutationsrate kann eine wachsende Bakterienpopulation Keime enthalten, in welchen ein mutiertes Protein nun einen wesentlich weniger empfindlichen Angriffspunkt ("Target") für ein Medikament darstellt und/oder imstande ist das Medikament abzubauen und damit dessen Wirkung zu verringern. Resistente Keime können überdies das mutierte Gen an andere Bakterien übertragen.

In Gegenwart eines antimikrobiellen Medikaments werden nun zuerst die empfindlichsten Keime abgetötet und sukzessive dann die immer resistenteren. Wird ungenügend lang behandelt, so erfolgt Selektion der resistenteren Keime, die sich nun munter weiter vermehren können. Resistente Keime entstehen auch, wenn Antibiotika unsachgemäß eingesetzt werden, bei Infektionen angewandt werden, gegen die sie unwirksam sind, wie dies bei den durch Viren verursachten grippalen Infekten und der Influenza der Fall ist.

…ein globales Problem

Die Entwicklung resistenter Keime, insbesondere multiresistenter - d.i. gegen eine breite Palette von Antibiotika resistenter - Keime ist ein weltweites Problem, das kein Land allein lösen kann. Globale Schätzungen aus dem Jahr 2016 gehen von mindestens 700 000, durch Infektionen mit resistenten Keimen verursachten Toten aus; 2050 könnte diese Zahl auf 10 Millionen ansteigen [2]. Abbildung 1.

Abbildung 1. Globale Todesfälle im Jahr infolge von Antibiotikaresistenz (AR) im Vergleich zu anderen Ursachen (Quelle: ‘Tackling drug-resistant infections globally: Final report and recommendations. https://amr-review.org/‘Tackling drug-resistant infections globally: Final report and recommendations sites/default/files /160525_Final%20paper_with%20cover.pdf (Lizenz cc-by 4.0))

Die Verschärfung der Situation resultiert daraus, dass Resistenzen sich viel, viel schneller entwickeln - auch auf Grund einer breiten unkritischen Anwendung - als neue Wirkstoffe gefunden, entwickelt und auf den Markt gebracht werden können. Letzteres ist auch dadurch bedingt, dass die Pharmazeutische Industrie den für sie nur wenig aussichtsreichen und kaum lukrativen Sektor der Antibiotika Forschung und Entwicklung jahrzehntelang ignorierte und auch akademische Institutionen dieses Gebiet vernachlässigt haben. Vom Budget der US-amerikanischen National Institutes of Health (NIH) - 142,5 Milliarden $ von 2010 bis 2014 - gingen 26,5 Milliarden in die Krebsforschung, 14,5 Milliarden in das HIV/AIDS-Gebiet, 5 Milliarden in Diabetes und nur 1,7 Milliarden $ - knappe 1,2 % - in die Antibiotikaforschung [2].

Was geschieht in der Europäischen Union?

Allein in der EU geht man jährlich von mehr als 25 000 Menschen aus, die in Folge von antimikrobieller Resistenz sterben. Abgesehen von dem Leiden der Betroffenen sind die durch (multi)resistente Keime verursachten Behandlungskosten enorm, ebenso wie die Einbußen durch Produktionsausfall. [1]. Die Bekämpfung der antimikrobiellen Resistenzen ist ein prioritäres Anliegen der EU und sie hat im Mai 2017 einen neuen Europäischen Aktionsplan zur Bekämpfung antimikrobieller Resistenzen im Rahmen des Konzepts „Eine Gesundheit“ vorgelegt [3]. (Zitat aus dem Aktionsplan:Mit dem Begriff „Eine Gesundheit“ wird ein Konzept beschrieben, mit dem anerkannt wird, dass menschliche und tierische Gesundheit miteinander zusammenhängen, dass Krankheiten vom Menschen auf Tiere und umgekehrt übertragen werden und deshalb bei beiden bekämpft werden müssen. Das „Eine-Gesundheit“-Konzept umfasst auch die Umwelt, die einen weiteren Verbindungspunkt zwischen Mensch und Tier und ebenfalls eine potenzielle Quelle neuer resistenter Mikroorganismen darstellt.[3])

Zu diesem Aktionsplan gehört - neben der Förderung relevanter Forschung & Entwicklung - auch für ein besseres Verständnis der EU-Bürger bezüglich eines sachgemäßen Gebrauchs von antimikrobiellen Medikamenten zu sorgen und so die Entwicklung und Ausbreitung von resistenten Keimen hintanzuhalten. Dass vielen Bürgern ein derartiger Zusammenhang nicht bewusst ist, haben mehrere, seit 2009 erhobene Eurobarometer Umfragen ergeben. Die letzte dieser Umfragen hat im September 2018 stattgefunden und deren bereits vorliegende Ergebnisse werden im Folgenden kurz dargestellt.

Spezial Eurobarometer 478: Antimikrobielle Resistenz [1]

Dies war nun die vierte repräsentative Umfrage, welche die die EU-Kommission in Auftrag gegeben hat, um aktuelle Meinungen, Kenntnisse und Verhaltensweisen der EU-Bürger zum Problem antimikrobielle Resistenz zu erheben. Die Umfrage erfolgte in den 28 Mitgliedstaaten vom 8. bis 26. September 2018 und insgesamt 27 474 Personen ab 15 Jahren und aus unterschiedlichen sozialen und demographischen Gruppen - rund 1 000 Personen je Mitgliedsland -nahmen teil. wurden persönlich (face to face) in ihrem Heim und in ihrer Muttersprache interviewt.

Die Teilnehmer wurden u.a. gefragt ob und warum sie im letzten Jahr Antibiotika genommen hatten, wie sie diese erhalten hatten und ob ein Test auf den Erreger der Erkrankung erfolgt war. Des weiteren wurde das Verständnis zu Wirksamkeit und Anwendung der Antibiotika erhoben und zu den Risiken eines unsachgemäßen Gebrauchs, auch woher die Bürger entsprechende Information erhalten hatten und wie verlässlich sie diese Quellen einstuften.

Haben Sie im letzten Jahr Antibiotika genommen?

Diese Frage beantworteten im Mittel 32 % der befragten EU-Bürger mit Ja - ein deutlicher Rückgang seit 2009 (40 %), allerdings ist der Unterschied zwischen den Staaten groß. Während nahezu die Hälfte der Italiener angab Antibiotika genommen zu haben, waren dies in Schweden, Holland und Deutschland weniger als ein Viertel der Befragten. Österreich liegt mit rund 31 % der befragten Personen im EU-Mittel. Abbildung 2. Eine demographische Analyse ordnet erhöhten Antibiotika-Verbrauch eher Personen mit abgebrochener Ausbildung, niedrigerem sozialen Status, ohne Beschäftigung , Altersgruppen zwischen 15 und 24 Jahren und solchen über 65 Jahren und Frauen zu.

Abbildung 2. Haben Sie im letzten Jahr orale Antibiotika genommen? Zwischen 20 und 47 % der Teilnahme bejahen diese Frage.(Quelle: [1])

Von wem und wofür erhielten Sie Antibiotika (verschrieben)?

Die überwiegende Mehrheit - 93 % - derjenigen, die im letzten Jahr Antibiotika gebraucht hatten (d.i 8 416 Personen), gab an diese vom Arzt verschrieben/erhalten zu haben. Im EU-Mittel beschafften sich aber 7 % der Befragten die Medikamente ohne Verschreibung . Deren Anteil war mit 15 % in Österreich und Rumänien am höchsten, gefolgt von Bulgarien, Lettland , Belgien und Slowakei , in denen der Anteil zwischen 13 und 14 % lag.

Auf die Frage wofür sie Antibiotika erhalten hatten, wurden am häufigsten Bronchitis und Halsschmerzen genannt. Dann folgten aber schon Grippe und "Verkühlung" (grippaler Infekt). Diese beiden Indikationen hatten zwar seit 2016 stark abgenommen; immerhin galten aber im EU-Mittel noch immer 20 % der Verschreibungen (in Österreich 27 %) diesen durch Viren verursachten Defekten, in denen ja Antibiotika völlig nutzlos sind und höchstens Resistenzen damit herangezüchtet werden. Abbildung 3.

Die Verschreibung von Antibiotika erfolgte im Mittel bei der Mehrheit der Befragten - 56 % (in Österreich bei 50 %) - ohne dass eine Testung auf Bakterien in Blut, Harn oder Speichel stattgefunden hatte.

Abbildung 3. Bei welchen Erkrankungen Antibiotika verschrieben werden. Insgesamt 20 % der Antibiotika werden bei Influenza und "Verkühlung" verschrieben, Virus-verursachten Defekten, gegen die Antibiotika wirkungslos sind. (Quelle: [1]).

Kenntnisse über Antibiotika

Hier wurden vier Themen angeschnitten:

  • Ob Antibiotika Viren töten können. Die Antwort war beunruhigend : im EU-Mittel gab nahezu die Hälfte (48 %) der Befragten die falsche Antwort "Ja" - mehr als bei der letzten Erhebung 2016 - und 9 % sagten, dass sie es nicht wüssten. Nur in sieben Ländern wussten mehr als 50 %, dass Antobiotika dazu nicht imstande sind. Österreich bietet hier wieder ein unrühmliches Bild: über zwei Drittel der Befragten hielten Antibiotika geeignet um Virusinfektionen zu bekämpfen. Nur in Griechenland lag der Anteil der Fehlmeinungen noch höher. Abbildung 4.

Abbildung 4. Eine Wissenslücke: auch in den bestinformierten Ländern Schweden, Holland und Finnland bejaht bis zu ein Drittel der Bürger die Frage ob Antibiotika Viren töten können(Quelle: [1]

  • Ob Antibiotika bei Verkühlung wirksam sind. Überraschenderweise wurde diese Frage im EU-Schnitt von zwei Drittel der Teilnehmer richtig mit "Nein" beantwortet (auch in Österreich waren es immerhin 52 %).

Die richtigen Antworten auf beide Fragen kamen vorzugsweise von Personen mit abgeschlossener Ausbildung im mittleren Alter mit geregeltem Einkommen.

  • Ob eine unsachgemäße Anwendung von Antibiotika zu deren Wirkungsverlust führt. Dieses Faktum ist offensichtlich Im Bewusstsein der Europäer voll angekommen. Es wurde im EU-Schnitt von 85 % der Teilnehmer bejaht - der Unterschied zwischen den Staaten ist dabei verhältnismäßig gering . Auch in den Staaten mit der niedrigsten Zustimmung - Italien, Rumänien und Bulgarien - liegen die richtigen Antworten bei 70, 74 und 77 %.
  • Ob die häufige Anwendung von Antibiotika mit Nebenwirkungen - beispielsweise Durchfall - verbunden ist. Auch hier ist in allen Staaten der überwiegende Teil der befragten Bevölkerung dieser Meinung (von 59 resp. 60 % in Schweden und Kroatien bis 84 % in Zypern und der Slowakei; EU-Schnitt 68  %).

Fasst man zusammen, so ist europaweit etwa nur ein Viertel der Teilnehmer in der Lage die 4 Fragen richtig zu beantworten und es gibt es keinen Staat, in welchem die Mehrheit der Bevölkerung auf alle 4 Fragen die richtige Antwort gibt. Am besten schneidet Nordeuropa ab (Finnland, Schweden, Holland, Luxemburg und Dänemark), am schlechtesten Lettland, Rumänien und Bulgarien.

Zur sachgemäßen Anwendung von Antibiotika

Dem Großteil der Befragten (EU-Schnitt 84 %) ist bewusst, dass Antibiotika in der vom Arzt verschriebenen Menge genommen werden sollen. Allerdings meinen im Mittel 13  %, dass sie mit der Einnahme aufhören können, sobald es ihnen besser geht. Besonders hoch ist mit 21 % der Anteil der Therapie-Abbrecher in Bulgarien, Luxemburg und Lettland (auch in Österreich ist er mit 17 % höher als im EU-Mittel). Dass ein derartiges Verhalten zur Resistenzentwicklung führt, ist eingangs bereits festgestellt worden.

Darüber, dass Antibiotika nicht unnötig (Beispielsweise bei einer Verkühlung) eingenommen werden sollten, fühlte sich nur ein Drittel der Befragten informiert. Diese hatten die Information im Wesentlichen vom ihrem Arzt , Apotheker aber auch aus verschiedenen Medien erhalten. (Im Großen und Ganzen veränderten diese Auskünfte ihre Einstellung zu Antibiotika aber nicht.) Auf die Frage, welche Informationsquellen sie für die verlässlichsten hielten, nannten über 80 % an erster Stelle den Arzt, gefolgt vom Apotheker (42 %) und dem Spital (20 %). Medien und soziale Netzwerke fielen unter ferner liefen.

Mehr Information über Antibiotika wünschten rund zwei Drittel der Teilnehmer, wobei etwa gleich viele interessiert waren über die Indikationen zu hören, bei welchen Antibiotika angewendet werden, über Antibiotika-Resistenz, über den Zusammenhang von menschlicher und tierischer Gesundheit und Umwelt und schließlich über die sachgemäße Anwendung der Antibiotika.

Antibiotika in Landwirtschaft und Umwelt

Damit beschäftigen sich die letzten Punkte des Eurobarometer Reports.

Der Frage ob in der Viehzucht kranke Tiere Antibiotika erhalten sollten, wenn dies die geeignetste Therapiemöglichkeit ist, stimmte im Mittel mehr als die Hälfte (56 %) der Befragten zu. Am höchsten war die Zustimmung in UK, Irland und Portugal (75 -77 %), am niedrigsten in Italien und Slowenien (39 - 41 %). Auch in Österreich äußerten sich 54 % positiv.

Dass der Einsatz von Antibiotika für ein schnelleres Wachstum der Tiere in der EU verboten wurde, wussten die meisten (58 %) EU-Bürger aber nicht.

Fazit

Die neue Eurobarometer Umfrage zeigt ein große Manko der Bevölkerung hinsichtlich des Wissens wie Antibiotika sachgemäß angewendet werden und damit Resistenzentwicklung hintangehalten werden kann. Es sind zweifellos große Anstrengungen notwendig, um flächendeckend in allen Ländern den Menschen das dafür notwendige Wissen zu vermitteln - resistente Keime machen ja an den Grenzen von Regionen und Ländern nicht Halt und stellen eine enorme Bedrohung für die Gesundheit von Mensch und Tier dar.


[1] Special Eurobarometer 478: Antimicrobial Resistance. 

[2] Tackling drug-resistant infections globally: Final report and recommendations (PDF PDF; Link nicht frei zugänglich).

[3] Europäischer Aktionsplan zur Bekämpfung antimikrobieller Resistenzen im Rahmen des Konzepts „Eine Gesundheit“ {SWD(2017) 240 final}


Weiterführende Links

Wie wirken Antibiotika? Video 5:44 min. Eine sehr leicht verständliche Zusammenfassung (2015; Standard YouTube Lizenz)

Wachsende Bedrohung durch Keime und gleichzeitig steigende Antibiotika-Resistenzen? Video 7:18 min (aus der Uniklinik Bonn - stimmt auch für Österreich) Standard YouTube Lizenz.

Warum gibt es Antibiotika-Resistenzen? Video 2:43 min (Standard YouTube Lizenz)

Artikel zum Thema Resistenz im ScienceBlog