Erdfieber — Das Unbehagen der Wissenschaft bei der Klimadebatte

Erdfieber — Das Unbehagen der Wissenschaft bei der Klimadebatte

Fr, 06.08.2013 - 05:46 — Gottfried Schatz

Icon GeowissenschaftenGottfried SchatzReich und wundersam sind die Früchte vom Baum der Wissenschaft, doch sie nützen nur dem, der ihnen Zeit zur Reife gönnt. Wer sie unreif pflückt, erntet meist Verwirrung. Wissenschaft gedeiht deshalb am besten fernab von Zwang und Macht. Auch Demokratien fordern von uns Wissenschaftern Wissen und Konsens – wir aber beschäftigen uns meist mit Unwissen und Widerspruch. Zum Konsens haben wir ein gespaltenes Verhältnis: Wir suchen ihn – und misstrauen ihm dann. Wir sind uns bewusst, dass die wissenschaftliche Wahrheit von heute schnell der Irrtum von gestern sein kann. Und von Karl Popper wissen wir, dass es nicht die Bestätigung, sondern die Widerlegung einer Hypothese ist, die uns neue Erkenntnis beschert. Der Journalist Walter Lippmann sagte es einfacher: «Wo alle gleich denken, denkt keiner besonders viel.»

Dieser Artikel erschien bereits am 23.Februar 2012 im ScienceBlog. Im Zuge der Aufarbeitung des Archivs präsentieren wir ihn in augenzwinkernder Verbeugung vor der aktuellen Hitzewelle erneut:

Vier Behauptungen – und eine fünfte

Wie also sollen wir Wissenschafter antworten, wenn man uns nach der Ursache der Klimaerwärmung fragt? Dürfen wir antworten «Wir sind uns ihrer noch nicht sicher» – wie wir es sollten? Oder müssen wir trotz unseren Zweifeln eine Ursache nennen – wie man es von uns erwartet? Viele von uns wählen den zweiten Weg und übertönen mit ihren apokalyptischen Prophezeiungen manchmal die Stimme der Vernunft. Ihre Argumente klingen betörend: Auf unserem Planeten wird es wärmer; Kohlendioxid reichert sich in der Lufthülle an; dieses Gas verhindert die Abstrahlung von Erdwärme in den Weltraum; die Verbrennung von fossilen Brennstoffen erzeugt jährlich 30 Milliarden Tonnen dieses Gases; also ist die Klimaerwärmung ein Werk von Menschenhand.

Die vier ersten Behauptungen sind unbestritten. Die fünfte ist es nicht, denn sie stützt sich nur auf Korrelationen. Eine Korrelation, mag sie auch noch so augenfällig sein, beweist jedoch nie ursächliche Zusammenhänge. Die Korrelation zwischen Jahreszeit und Umwelttemperatur ist uns seit Jahrtausenden bekannt, doch wir verstehen sie erst, seit wir wissen, wie die Erde um die Sonne kreist. Ähnliches gilt für das Erdklima. Treibt der Anstieg des Kohlendioxids die Erwärmung – oder diese den Anstieg des Kohlendioxids? Eine klare Antwort könnten Experimente liefern, die nur eine Komponente des Klimasystems verändern. Doch Experimente mit dem Erdklima sind entweder unmöglich oder viel zu riskant, so dass wir Wissenschafter auf unsere wirksamste Waffe verzichten müssen.

In unserer Not greifen wir zu Simulationen: Wir stellen eine Vermutung auf und errechnen deren Auswirkungen mit leistungsstarken Computern. Wie stark erwärmt sich das Klima, wenn der Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre um 30 Prozent steigt? Solche Berechnungen erfordern den Einbezug immens vieler Daten, die wir oft nur grob schätzen können oder gar nicht kennen. Stimmt das Resultat der Simulation mit den gemessenen Klimadaten überein, werten wir es als Hinweis, dass unsere Vermutung richtig war. Ein Hinweis ist jedoch kein Beweis. Die meisten der so errechneten Klimavoraussagen sind daher nicht viel mehr als das, was sie vor der Simulation waren – Vermutungen.

Das Klimasystem unseres Planeten ist so komplex, dass wir noch nicht einmal alle Faktoren kennen, die es beeinflussen. Neben den vieldiskutierten «Treibhausgasen» Kohlendioxid, Methan und Wasserdampf sind es unter anderem Schwankungen der Sonnen- und der Weltraumstrahlung, Positionsänderungen der Erdachse, Verschiebungen der Kontinente und der Meeresströmungen, wechselnde Durchsichtigkeit der Lufthülle, Änderungen der Pflanzendecke sowie die Evolution neuer Pflanzenformen. Solange wir das Wetter der nächsten Woche nicht mit Sicherheit vorhersagen können, ist es mehr als kühn, das der kommenden Jahrzehnte zu prophezeien.

Das Spektrum der Isotope

Und doch versuchen wir, diesem Ziel näherzukommen. Da uns Experimente verwehrt sind, schärfen wir die stumpfen Waffen Korrelation und Simulation, so gut wir können. Wir erforschen die Vorgänge, die das Klima unseres Planeten beeinflussen könnten, um zwischen ihnen und dem Klima Korrelationen aufzudecken und deren Bedeutung mit rechnerischen Simulationen zu prüfen. Es ist ein langer und steiniger Weg, von dem wir nicht wissen, ob er uns zum Ziel führen wird. Er hat uns jedoch vor vier Jahrhunderten die Ursache der Jahreszeiten aufgedeckt und eröffnet uns heute atemberaubende Einblicke in das Erdklima vor Tausenden, Millionen und sogar 500 Millionen Jahren.

Unsere Fernrohre für diesen Blick in die Vergangenheit sind die unterschiedlich schweren Varianten chemischer Elemente – die sogenannten «Isotope». Die verschiedenen Isotope eines Elements sind chemisch fast identisch, reagieren jedoch nicht gleich schnell und verleihen den Verbindungen, in denen sie vorkommen, leicht unterschiedliche Eigenschaften. Wasser, das aus «schweren» Isotopen von Wasserstoff und Sauerstoff besteht, verdunstet bei niedriger Temperatur langsamer und schlägt sich im Regen schneller nieder als Wasser aus den «leichten» Isotopen. In kühlen Klimaperioden steigt deshalb in den Ozeanen der Anteil der schweren im Verhältnis zu den leichten Wasserstoff- und Sauerstoffisotopen. Diese subtile Verzerrung des Isotopenspektrums spiegelt sich in den Kalkhüllen der Meerestiere wider; und da die Hüllen schliesslich zu Kalkgestein werden, ist dessen Isotopenspektrum ein Hinweis auf die Wassertemperatur, bei der die Tiere lebten.

Das Spektrum der verschiedenen Kohlenstoffisotope im Kalkgestein erlaubt zudem Rückschlüsse auf den Kohlendioxidgehalt urzeitlicher Atmosphären. Ähnliches gilt für Gasbläschen in uralten Eisproben, die Klimaforscher den arktischen Gletschern mit kilometertiefen Bohrungen entreissen und dann auf ihr Isotopenspektrum untersuchen. In den hochempfindlichen Messgeräten der Klimaforscher beginnen Gestein und Eis zu uns zu sprechen.

Was sie berichten, ist überwältigend – und verwirrend. Während der letzten 500 Millionen Jahre war unsere Lufthülle mehrmals bis zu zehnmal reicher an Kohlendioxid als heute, ohne dass sich das Klima dramatisch aufgeheizt hätte. Obwohl die Konzentration an Kohlendioxid heute um 27 Prozent höher ist als in den letzten 650 000 Jahren, ist sie immer noch fast viermal tiefer als vor 175 Millionen Jahren. Einige Messungen finden deutliche Korrelationen zwischen Kohlendioxidgehalt und Erdtemperatur, andere dagegen nicht. Und obwohl sich die Hinweise häufen, dass wir Menschen an der Klimaerwärmung nicht ganz unschuldig sind, besteht kein Zweifel, dass das Erdklima über lange Perioden beträchtlich und ohne erkennbare Ursache schwankte. Gestein und Eis erzählen das Epos eines eigenwilligen und rastlosen Planeten, der zwar schon in seiner Lebensmitte steht, aber immer noch voller Überraschungen ist. Wer dem Epos aufmerksam lauscht, wird sich bewusst, dass wir das Erdklima derzeit weder verstehen noch voraussagen können. Man erwartet von der heutigen Wissenschaft, dass sie den fiebernden Planeten heilt, doch wie ein Arzt vergangener Zeiten kann sie nur seinen Puls fühlen.

Wahnwitzige Vergeudung

Viele von uns zögern, unseren Wissensnotstand öffentlich zu bekennen, weil ihn die Mächtigen dieser Welt als Vorwand nehmen könnten, um die Ressourcen unseres Planeten unbekümmert weiter zu vergeuden. Braucht es aber wirklich Kassandrarufe von überfluteten Küstenstädten und biblischen Insektenplagen, um den Wahnwitz dieser Vergeudung einzusehen und ihm Einhalt zu gebieten? Um uns einen Liter Erdöl zu schenken, musste die Sonne einen Quadratmeter der Erdoberfläche viele Jahre lang bescheinen. Und wir verbrennen dieses kostbare Erbe verflüssigter Sonnenenergie – das noch dazu ein exquisiter Rohstoff für unzählige chemische Produkte ist –, als gäbe es kein Morgen. Wenn auch unsere Rolle bei der jetzigen Klimaveränderung unbewiesen ist, sollte schon der blosse Verdacht uns Grund genug sein, für eine verantwortungsvolle Energiepolitik zu kämpfen.

«Im Allgemeinen freilich haben die Weisen aller Zeiten immer dasselbe gesagt, und die Thoren, d. h. die unermessliche Majorität aller Zeiten, haben immer das Selbe, nämlich das Gegenteil, gethan: und so wird es denn auch ferner bleiben.» Ich hoffe, Schopenhauer war nur Pessimist – und nicht Prophet.


Anmerkungen der Redaktion

Weiterführende Links

Das Klimaportal der österreichischen Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik gibt einen umfassenden Überblick über den Stand des Wissens, mit sehr verständlich, aber keineswegs banal geschriebenen Erläuterungen. Die dort angebotenen Punkte Klimaforschung, -system, -vergangenheit, -zukunft oder -folgen sind alle lesenswert, und wären nur anhand des eigenen Interesses überhaupt irgendwie zu reihen. Motivation und Kompetenz werden folgendermaßen beschrieben:

»Gleich zu Beginn definiert die Abteilung für Klimaforschung der ZAMG ihre Position in der öffentlichen Klimawandeldiskussion, um den Leserinnen und Lesern eine eigenständige Beurteilung der angebotenen Inhalte zu ermöglichen: Unsicherheit wissenschaftlicher Ergebnisse verstehen wir nicht als Anlass zum Abwiegeln oder Zaudern sondern als Herausforderung für die Forschung. Vielmehr ist ein rationaler Umgang mit Unsicherheit in der öffentlichen und politischen Diskussion notwendig.«


 

 

inge Tue, 06.08.2013 - 05:46