Mütterliches Verhalten: Oxytocin schaltet von Selbstverteidigung auf Schutz der Nachkommen

Mütterliches Verhalten: Oxytocin schaltet von Selbstverteidigung auf Schutz der Nachkommen

Do, 29.06.2017 - 09:36 — Redaktion

RedaktionIcon Gehirn

 

Werden Muttertiere zusammen mit ihren Jungen einer Bedrohung ausgesetzt, so unterdrücken die Mütter ihren Trieb zur Selbstverteidigung und schalten auf Schutz ihrer Nachkommen. Wie eine eben im Journal eLife erschienene Untersuchung an Ratten zeigt , fungiert das "Kuschelhormon" Oxytocin in diesem Prozess als Schalter [1, 2]. Auf einen bestimmten Geruch als Gefahr konditionierte Rattenmütter geben die Information über die vermeintliche Gefahr an die Jungen weiter. Wird das Hormon durch einen Antagonisten blockiert, so hören Rattenmütter auf ihre Jungen zu schützen und die Jungen lernen auch nicht den Geruch als Gefahr zu sehen. *

Wenn ein Tier einer Bedrohung ausgesetzt ist, so muss es zwei Probleme abklären: zuerst die Bedrohung selbst -Welche Art von Bedrohung ist es? Wie nahe ist sie? - aber ebenso auch das nähere Umfeld - Kann ich entkommen? Gibt es einen Platz, wo ich mich verstecken kann? Aus einer Reihe möglicher Reaktionen muss das Tier muss dann seine Auswahl treffen: beispielsweise kann es versuchen die Bedrohung abzuwehren oder die Flucht zu ergreifen. Wenn kein sicherer Fluchtweg existiert, besteht eine andere Möglichkeit darin in Starre zu verfallen und zu hoffen, vom Feind nicht bemerkt zu werden. Die Starre kann eine durchaus gangbare Möglichkeit für ein einzelnes, auf sich gestelltes Tier bedeuten, es ist aber keine Alternative für ein Muttertier, das seinen jungen Nachwuchs beschützt. Solange diese Tiere noch sehr jung sind und noch nicht laufen können, gibt es als einzige Möglichkeit sich der Bedrohung entgegen zu stellen. Ist die Nachkommenschaft bereits etwas älter, kann es möglich sein diese in Sicherheit zu bringen. Abbildung 1.

Abbildung 1. Wie eine Rattenmutter auf eine Bedrohung reagiert, hängt vom Alter ihrer Jungen ab. Illustration: Karolina Rokosz. (Quelle: KZ Meyza & E Knapska [1]; der Artikel steht unter einer cc-by Lizenz)

Die neuronalen Mechanismen, die zu verschiedenen defensiven Reaktionen führen sind ganz gut verstanden, der bei weitem überwiegende Teil der heute vorliegenden Studien stützt sich allerdings ausschließlich auf Untersuchungen an männlichen Tieren. Darüber hinaus blieb häufig auch der elterliche Status unberücksichtigt. Im allgemeinen werden weibliche Ratten als weniger territorial als männliche Ratten betrachtet. Das Verhalten ändert sich aber, sobald sie Muttertiere werden: sie können sich gegenüber möglicherweise gefährlichen Eindringlingen aggressiv verhalten , sogar, wenn sie dabei selbst in Gefahr geraten.

Wie schaltet das Hirn zwischen Selbstverteidigung und Verteidigung des Nachwuchses?

Und wird das Repertoire der Verteidigungsmaßnahmen durch das Alter der Jungen beeinflusst?

Im Journal eLife berichtet nun ein Forscherteam (E Rickenbacher, RE Perry, RM Sullivan, M Moita vom Champalimaud Neuroscience Programme in Portugal und der New York University School of Medicine), dass in Gegenwart der Jungtiere die Reaktionen der Selbstverteidigung durch ein Hormon - das sogenannte Oxytocin - in dem als zentrale Amygdala ("Mandelkern") bezeichneten Bereich des Gehirns unterdrückt werden [1,2].

Oxytocin, ein aus 9 Aminosäuren bestehendes zyklisches Peptid, ist ein gut erforschtes Hormon. Es fördert soziale Bindungen, verursacht Kontraktionen von Uterus und Cervix während des Geschlechtsverkehrs und beim Geburtsvorgang und ebenso das Einschießen der Milch beim Säugen. Neulich wurde nun entdeckt, dass Oxytocin auch den Vorgang des Erstarrens reguliert.

Im allgemeinen wird Oxytocin in die Blutbahn ausgeschüttet. Bei der Angstreaktion erfolgt die Sekretion von Oxytocin aber direkt in die zentrale Amygdala - eine der Strukturen des Gehirns, die das Starrwerden kontrolliert.

In einer Reihe eleganter Untersuchungen zeigt nun das Forscherteam, dass Muttertiere in Gegenwart ihrer Jungen nicht in Erstarrung verfallen, wenn sie mit einer Bedrohung konfrontiert werden (in diesem Fall ist es ein schädlicher, mit Geruch verbundener Reiz). Wie sie nun reagieren, hängt vom Alter der Jungen ab. Solange diese noch sehr klein sind - d.i. zwischen 4 und 6 Tage alt - stellen sich die Mütter der Bedrohung. Sind die Jungtiere aber bereits älter - zwischen 19 und 21 Tage alt - so wendet sich das Muttertier ihnen zu und drängt sich mit diesen zusammen - vielleicht, weil die älteren Jungtiere im Notfall bereits weglaufen können. Abbildung 2.

Abbildung 2. Design des Experiments: Rattenmütter wurden mit Pfefferminzgeruch und einem gleichzeitigen elektrischen Schock konditioniert den Geruch als Gefahr zu sehen (oben): Das Verhalten der Muttertiere während einer weiteren Exposition mit Pfefferminze wurde in Gegenwart (A) und Abwesenheit (B) ihrer Jungen getestet. Unten: in Abwesenheit ihrer Jungen verfallen Muttertiere in Starre (Immobilität). Wie sie sich in Anwesenheit ihrer Jungen verhalten, hängt von deren Alter ab. Sind diese noch sehr klein (4 - 6 Tage nach der Geburt), wendet sich die Mutter dem Feind zu (ganz unten), sind diese bereits älter (19 - 21 Tage alt), so wenden sich die Mütter den Jungen zu und drängen sich mit diesen zusammen (nicht gezeigt). (Bild adaptiert nach Figure 1 in [2]. Der Artikel steht unter einer cc-by Lizenz.)

Dieses Verhaltensmuster ändert sich aber dramatisch, wenn ein Antagonist des Oxytocin genau in den zentralen Kern der Amygdala injiziert wird. Wenn die Oxytocin Wirkung durch den Antagonisten blockiert wird, so beginnen die Muttertiere sich so zu verhalten als ob keine Jungen vorhanden wären und auf bedrohliche Situationen mit einem Starrwerden zu reagieren.

Lernen von der Mutter

Diese Veränderung im Verhalten der Mütter hat erhebliche Auswirkungen auf die Kleinen. Unter normalen Umständen wird eine Rattenmutter in Gegenwart ihrer Jungen nicht starr werden, sondern eine Reihe aktiver Abwehrmaßnahmen zeigen. Während dieses Vorgangs lernen die Jungen den schädlichen Stimulus und den Geruch - beides für die Mutter bestimmte Reize - mit etwas Unangenehmen zu verbinden. Wenn die Mutter dagegen erstarrt, wird diese emotionale Information nicht von der Mutter auf die Kinder übertragen. Abbildung 3.

Abbildung 3. Von der Mutter erlerntes Angstverhalten. Nach der Konditionierung der Muttertiere wurde diesen 24 h später ein Oxytocin Antagonist/eine Kontrolle in die Amygdala injiziert und das Verhalten der Tiere gegenüber Pfefferminzgeruch getestet (nicht gezeigt). 2 - 3d später wurden dann Jungratten im Alter von 19 - 21 d ohne Muttertier dem Geruch ausgesetzt.. Von den mit Oxytocin Antagonisten behandelten Müttern stammende Junge haben nicht gelernt auf die Gefahr zu reagieren. (Bild adaptiert nach Figure 5 in [2]. Der Artikel steht unter einer cc-by Lizenz.)

Die Arbeit des Forscherteams beantwortet einige wichtige Fragen an und wirft auch neue Fragen auf. Ist es nur das Oxytocin im zentralen Kern der Amygdala, welches das Erstarren der Muttertiere unterdrückt? Auf welche Wiese lernen Jungtiere über Gefahren?

Die Beantwortung dieser Fragen wird die Neurowissenschafter noch Jahre beschäftigen.


[1] KZ Meyza & E Knapska: Maternal Behavior: Why mother rats protect their children. Insight Jun 13, 2017. eLife 2017;6:e28514 doi: 10.7554/eLife.28514 [2] E Rickenbacher, RE Perry, RM Sullivan, M Moita, Freezing suppression by oxytocin in central amygdala allows alternate defensive behaviours and mother-pup interactions. eLife 2017;6:e24080. DOI: 10.7554/eLife.24080


*Der vorliegende Artikel basiert auf dem unter [1] zitierten Insight Bericht des eLife Journals vom 13.Juni 2017: Maternal Behavior: Why mother rats protect their children. Dieser Bericht wurde weitestgehend wörtlich übersetzt und durch adaptierte Abbildungen aus der zugrundeliegenden Publikation [2] ergänzt: Die Inhalte der eLife Website stehen unter einer cc-by 3.0 Lizenz.


Weiterführende Links

zu Oxytocin

Benjamin Clanner-Engelshofen (2017): Oxytocin. http://www.netdoktor.de/medikamente/oxytocin/

Sue Carter (2017): Oxytocin and the Biology of Love: Too Much of a Good Thing? Video 4:39 min. http://www.medscape.com/viewarticle/879325

Paul Zak: Das Moralmolekül. TEDGlobal 2011 Video 16:34 min. (deutsches Transkript) https://www.ted.com/talks/paul_zak_trust_morality_and_oxytocin/transcrip...

Oxytocin - Video Learning - WizScience.com (englisch, Transkript) 2:22 min. https://www.youtube.com/watch?v=htdRq7BoUPM

Tobias Deschner, 15.08.2014: Konkurrenz, Kooperation und Hormone bei Schimpansen und Bonobos, http://scienceblog.at/konkurrenz-kooperation-und-hormone-bei-schimpansen....

Zum Journal eLife:
Homepage eLife: https://elifesciences.org/

Publishing important work in the life sciences: Randy Schekman at TEDxBerkeley (2014). 10:10 min. https://www.youtube.com/watch?v=-N4Mb8tsyT8

Redaktion,20.04.2017: Wissenschaftskommunikation: das open-access Journal eLife fasst Forschungsergebnisse für die Öffentlichkeit verständlich zusammen. http://scienceblog.at/wissenschaftskommunikation-open-access-journal-elife


inge Thu, 29.06.2017 - 09:36