Der Natur abgeschaut: Die Farbstoffsolarzelle

Der Natur abgeschaut: Die Farbstoffsolarzelle

Do, 28.10.2012- 04:20 — Michael Grätzel

Icon Chemie Michael Grätzel

Pflanzen fangen mit Hilfe von Farbstoffen das Sonnenlicht ein und verwandeln dieses in Energie, welche sie zur Synthese organischer Baustoffe aus Kohlendioxyd und Wasser – der Photosynthese – befähigt. Die neuentwickelte Farbstoffsolarzelle (nach ihrem Erfinder „Graetzel-Zelle“ benannt) ahmt diesen Prozeß nach, indem sie mittels eines organischen Farbstoffes Sonnenlicht absorbiert und in elektrischen Strom umwandelt.

Es ist eine der größten gegenwärtigen Herausforderungen der Menschheit, fossile, zur Neige gehende Brennstoffe durch erneuerbare Energieformen zu ersetzen und dabei gleichzeitig Schritt zu halten mit einem weltweit steigenden Verbrauch an Energie, bedingt durch das rasche Wachstum der Bevölkerung und den zunehmenden Bedarf – vor allem der Entwicklungsländer. Eine akzeptable Lösung dieser Problemstellung darf zudem nur niedrige Kosten verursachen, und die dazu verwendeten Rohstoffe müssen in reichlichem Ausmaß vorhanden sein.

Die Sonne als Energiequelle - Photovoltaik

Die Sonne spendet ein Übermaß an reiner und kostenloser Energie. Von den hundertzwanzigtausend Terawatt (Terawatt = 1 Milliarde kW) Sonnenenergie, mit denen sie unsere Erde bestrahlt, verbraucht die Menschheit bloß einen winzigen Bruchteil: rund 15 Terawatt. Bereits seit mehr als 3,5 Milliarden Jahren macht sich die Natur die Energie der Sonne mittels Photosynthese zunutze, um in Pflanzen, Algen und Bakterien aus anorganischen Stoffen organische Verbindungen zu synthetisieren und damit alles Leben der Erde zu ermöglichen und zu ernähren. Die immense und unerschöpfliche Sonnenenergie mit Hilfe photovoltaischer Technologien in Elektrizität zu wandeln erscheint damit als logische Schlußfolgerung, um das Problem unserer Energieversorgung langfristig und nachhaltig zu lösen. In der Realisierung der Nutzung von Sonnenenergie spielen natürlich Kosten und Wirkungsgrad der Solarzellen eine prioritäre Rolle. #

Das noch relativ junge Gebiet der Photovoltaik basiert auf dem photoelektrischen Effekt bei der Wechselwirkung von Licht und Materie: die Absorption von Lichtquanten (Photonen) bewirkt die Anregung und Abgabe von Ladungsträgern (Elektronen), d.h. die Umwandlung von Strahlungsenergie in elektrische Energie. Der Photovoltaik-Markt wird heute von Halbleitertechnologien auf der Basis von anorganischen Ausgangsmaterialien dominiert, das sind hauptsächlich auf kristallinem oder amorphem Silizium, Cadmiumtellurid (CdTe) und Kupfer-Indium-Gallium-Diselenid (CIGS) beruhende Systeme. Die Produktion einiger dieser Materialien – beispielsweise auf Grund der Notwendigkeit, Silizium in Reinstform anzuwenden – ist aufwändig, teuer und erfordert einen sehr hohen Energieeinsatz. Einige der Materialien, wie z.B. Cadmiumtellurid (für die CdTe-Module) sind toxisch und/oder kommen in der Natur selten vor (z.B.Gallium, Indium, Tellur, Selen).

Die industrielle Standard-Solarzelle besteht aus Silizium und stellt eine bereits ausgereifte Technologie dar, mit einem maximalen Wirkungsgrad von bis knapp unter 30 %. Jedoch ist die Herstellung der Zellen sehr energieintensiv, und es dauert - je nach Standort - mehrere Jahre bis sich die Herstellungskosten amortisiert haben (3,7 Jahre in Südeuropa, 7 Jahre in Süddeutschland) [1].

Photovoltaik, die auf (synthetischen) organischen Substanzen beruht, kann zweifellos Probleme wie mangelnde Verfügbarkeit der Ausgangsmaterialien, hohe Herstellungskosten und Toxizität vermeiden. Zudem können diese Zellen auch auf dünne Folien gedruckt werden und verbinden damit Flexibilität mit einem wesentlich geringeren Gewicht als die Silizium-basierten Module. Allerdings liegen die Wirkungsgrade organischer Solarzellen (unter 10 %) zur Zeit noch weit unter denen, die von rein anorganisch basierten Solarzellen erreicht werden.

Sonnenenergie einfangen, wie dies die Pflanzen machen

Die durch Farbstoff sensibilisierte Solarzelle (dye-sensitized solar cell: DSSC) funktioniert nach einem anderen Prinzip als die konventionellen Silizium-basierten Halbleiterzellen. In den Letzteren erfolgen Absorption von Licht (Photonen) und Transport der generierten Ladungsträger in derselben Phase im Halbleitermaterial, wobei während der Diffusion ein Teil der Ladungsträger wieder rekombiniert und die Energie in Form von Wärme abgibt. Um Energieverluste durch Rekombination möglichst gering zu halten, darf der Halbleiter daher nur sehr wenige Fehlstellen aufweisen – seine erforderliche extrem hohe Reinheit schlägt sich in sehr hohen Herstellungskosten nieder.

Die Farbstoffsolarzelle ist inspiriert von dem Mechanismus der natürlichen Photosynthese, welche in den Chloroplasten der Pflanzenzellen abläuft. In diesen Zellorganellen besteht die photosynthetische Einheit aus dem Licht-einfangenden Farbstoff Chlorophyll (und Carotinoiden) und den Photosystemen PS II und PS I, welche die generierten Elektronen schneller weiterleiten als deren Rekombination mit dem Farbstoff erfolgen kann. In analoger Weise laufen in der Farbstoffsolarzelle Lichtabsorption und Generierung der Ladungsträger an der Grenzfläche Farbstoff/Halbleiter separiert vom Transport der Ladungsträger in Halbleiter und Elektrolyt ab und minimieren damit die Möglichkeit der Rekombination. Damit sinken auch die Erfordernisse an die chemische Reinheit der Materialien und damit die Produktionskosten. Zudem ist eine voneinander unabhängige Optimierung der optischen Eigenschaften der Zellen durch die Auswahl von Farbstoffen und der Transporteigenschaften von Halbleiter und Elektrolyt möglich.

Abbildung 1 zeigt stark vereinfacht das Funktionsprinzip einer Farbstoffsolarzelle:

Aufbau einer Grätzel-Zelle schematischAbbildung 1. Aufbau einer Farbstoffsolarzelle (vereinfachtes Beispiel). Beschreibung: siehe Text. TCO: transparente leitende Oxydschicht. Elektronen: schwarze Kreise.

 

Die Zelle besteht aus zwei mit einer transparenten leitfähigen Oxidschicht (TCO) beschichteten Glasplatten, welche die Elektroden tragen und einen Abstand von 20-40 μm voneinander haben. Die dem Licht ausgesetzte Elektrode ist mit einem ca. 10 µm dicken Film eines Halbleiters (üblicherweise Titandioxyd) belegt, der zur Vergrößerung seiner Oberfläche aus Nanopartikeln* besteht, auf welchen, in hauchdünner Schicht, ein Farbstoff („Sensibilisator“) aufgebracht ist. Einfallendes Licht wird von diesem Farbstoff absorbiert wodurch Elektronen angeregt werden, welche auf den Halbleiter übertragen („injiziert“) und danach durch die Nanopartikelschicht zum elektrisch leitenden transparentem Oxid (TCO) transportiert werden, welches als Stromkollektor wirkt. Das zurückbleibende, nun positiv geladene Farbstoffmolekül gleicht sein Ladungsdefizit aus den umgebenden Elektrolyten (Redoxelektrolyt, zumeist Lösungen aus Iodsalzen, zuletzt aber auch feste Elektrolyte) aus.

Was kann die Farbstoffsolarzelle?

Seit der ersten Demonstration einer funktionierenden Farbstoffsolarzelle vor einundzwanzig Jahren [2] unterliegt dieser Zelltyp einem kontinuierlichen Entwicklungsprozeß. Neue Farbstoffe, basierend auf Porphyrin-Metallkomplexen (nach dem Vorbild der natürlichen Farbstoffe im Chlorophyll und Haemoglobin) haben zu einer gesteigerten Absorption des Sonnenlichts und effizienteren Anregung von Elektronen und damit zu einem Wirkungsgrad von über 12 % geführt. Durch Zugabe eines weiteren Farbstoffes konnte die Sensibilität der Zellen über große Bereiche des sichtbaren Spektrums des Lichts ausgeweitet werden.

Stabilität. Der Effizienzverlust dieser Zellen ist erwies sich auch in Langzeitversuchen unter extremen Bedingungen als sehr gering (5%) [4].

Herstellung. Der im Vergleich zu konventionellen Solarzellen (derzeit noch) geringere Wirkungsgrad wird aufgewogen durch die preisgünstigen Materialien, aus denen die Zellen gefertigt werden und die technisch einfachen Produktionsverfahren, beispielsweise durch Rollendruck. (Die Einfachheit, mit welcher funktionsfähige Farbstoffzellen hergestellt werden können, läßt sich daran ablesen, daß diese als Unterrichtsbeispiel von Schülern in 2 - 3 Stunden – je nach Aufwand bei den Messungen – zusammengebaut werden [3].) Dank der geringen Kosten amortisieren sich die Herstellungskosten in weniger als einem Jahr.

Diffuses Licht. Eine Besonderheit der Farbstoffzellen ist ihre Sensibilität für diffuses Licht. Im Gegensatz zu anderen Solarzellen nimmt der Wirkungsgrad bei Bewölkung, Nebel, stark sandhaltiger Luft oder auch im Hausinnern nicht ab und übertrifft unter diesen Bedingungen den Wirkungsgrad anderer Zellen. Diese Eigenschaft läßt Farbstoffzellen besonders attraktiv für eine Verwendung in gemäßigten und nördlicheren Breiten erscheinen. Da der Wirkungsgrad viel weniger vom Einfallswinkel des Lichts abhängig ist als bei Siliziumzellen, können Farbstoffzellen auch in vertikale Flächen – beispielsweise Hauswände – eingebaut werden.

Temperatur. Im Außenbetrieb erhitzen sich Solarzellen in der Sonne. Dies führt zu einer Reduktion des Wirkungsgrades der Siliziumzellen, während Farbstoffzellen bis 65 °C nahezu unabhängig von der Temperatur arbeiten.

Transparenz und Flexibilität. Farbstoffsolarzellen können in beliebigen Farben, vollständig transparent produziert werden und flexibel auf Kunsstoffolien aufgedruckt werden. Damit eröffnet sich ein enormes Potential an Anwendungen: von der Anbringung auf Kleidungsstücken und Taschen, um Akkus unterwegs aufzuladen, bis zur Erzeugung Strom-liefernder Glasfenster und ganzer Fassaden.

Kommerzialisierung

In Anbetracht des vielversprechenden, riesigen Potentials an Anwendungen sind zahlreiche akademische Institutionen und Firmen in die Forschung und Entwicklung von Farbstoffsolarzellen eingestiegen, und ihre Zahl nimmt - nach dem Auslaufen einer Reihe grundlegender Patente im Jahr 2008 - weiter zu. Beispielsweise:

  • produziert und vertreibt die in Cardiff angesiedelte G24 Innovations eine Reihe von Indoor- (wireless keyboard, sade and blind system: “harvest energy in all light conditions from 200lux (extremely low light levels) to 100,000lux (bright midday sun) ) und outdoor-Anwendungen (Rucksäcke, Taschen: “to enhance the quality of life, education and productivity in these communities by providing electricity in regions that traditionally have limited access to power”).
  • stellt Sony dekorative Fenster und Lampen für den indoor-Gebrauch her. Aufbau einer Grätzel-Zelle schematischAbbildung 2: Anwendungen der Farbstoffsolarzelle

 

  • hat in Deutschland das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) bereits Dreifach-Isolierglaseinheiten mit integrierten Farbstoffsolarmodulen entwickelt und vor mehr als einem Jahr eine 6000 cm² große funktionsfähige Modulfläche präsentiert, mit dem Ziel, diese in Fassaden zu integrieren [5].
  • arbeitet das auf Farbstoffsolarzellen spezialisierte, börsennotierte australische Unternehmen Dyesol mit internationalen Partnern intensiv an der Integrierung der Farbstoffsolarzellen-Technologie in der Baubranche und hat kürzlich das Human Resource Development Centre der Stadt Seoul (Südkorea) mit Farbstoffsolarzellenfenstern ausgestattet.
  • geht auch das steirische "Forschungszentrum für integrales Bauwesen AG" (FIBAG) an die Umsetzung der Integration der Farbstoffsolarzellen in Gebäudehüllen.

* Partikel mit einem Durchmesser von 10 - 100 Millionstel Millimeter

[1] Wikipedia: Energetische Amortisationszeit; abgerufen 25.6.2013

[2] B. O’Regan and M. Graetzel, Nature, 353, 737-740 (1991).

[3] http://www.lehrer-online.de/graetzel-zelle.php

[4] Harikisun, R;Desilvestro, H: Long-term stability of dye solar cells. In: Solar Energy. Nr. 85, 2011, S. 1179–1188. doi:10.1016/j.solener.2010.10.016. [

5] Auf dem Weg in die Fassade - Fraunhofer ISE präsentiert weltweit größtes Farbstoffsolarmodul in Siebdruck (PDF-download)


Weiterführende Links

Michael Grätzel und die Farbstoffzelle auf youtube

Solarzelle nach Vorbild der Natur | Projekt Zukunft 3,27 min:

Solar energy / Dye-Sensitized Solar Cells - Michael Grätzel / epflpress.com 5:12 min:

Millenium Prize. Laureate 2010: Michael Grätzel 3:45 min

Distinguished Lecture Series - Dr. Michael Grätzel (2010) 1:00:12

 

 


 

 

inge Thu, 18.10.2012 - 05:20