Weißer als weiß - ein Farbanstrich, der die Klimaanlage ersetzen kann

Fr, 29.04.2021 — Redaktion

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Forscher an der Purdue University haben eine neue ultraweiße Wandfarbe entwickelt, die 98,1 Prozent des einfallenden Sonnenlichts reflektiert und in der Mittagshitze Oberflächen um bis zu 4,5oC kühler als ihre Umgebung halten kann. Diese neue Farbe , die wahrscheinlich in den nächsten ein oder zwei Jahren auf den Markt kommen wird, könnte - auf den Fassaden aufgebracht - die urbanen Hitzeinseln mildern und dabei die Abhängigkeit von elektrisch betriebenen Klimaanlagen reduzieren. Im Smithonian Magazin berichtet Xiulin Ruan, der Leiter des Forschungsteams, über diese spektakuläre Erfindung, die einen Beitrag zur Energiewende und zum Kampf gegen die globale Erwärmung leisten wird können.*

Ein neuer Anstrich ist eine einfache Möglichkeit ein Haus attraktiver aussehen zu lassen. Demnächst kann ein solcher Anstrich aber auch dazu verhelfen, das Haus kühl zu halten.

Ein Durchbruch

Kürzlich hat ein Team von Wissenschaftlern an der Purdue-Universität (West Lafayette, Indiana, US) die Ergebnisse seiner Farbenforschung in der Zeitschrift ACS Applied Materials & Interfaces veröffentlicht [1]; finanziert wurden die Untersuchungen vom Forschungszentrum für Kühltechnologien der Purdue-Universität und vom Militärischen Forschungsinstitut der United States Air Force.

Unser Anstrich absorbiert nur 1,9 Prozent des einfallenden Sonnenlichts, kommerzielle Wandfarben dagegen 10 bis 20 Prozent des Sonnenlichts“, sagt Xiulin Ruan, Professor für Maschinenbau an der Purdue-Universität und einer der Koautoren der Studie. Abbildung 1.

Abbildung 1.Xiulin Ruan, Professor für Maschinenbau an der Purdue Universität zeigt eine Probe der weißesten Farbe. (Foto: Purdue University/Jared Pike)

Der Anstrich bedeutet eine markante Verbesserung gegenüber den derzeit auf dem Markt erhältlichen wärme-reflektierenden Farben. Trifft Sonnenlicht auf Oberflächen, die mit den heute verfügbaren weißen Farben beschichtet sind, so werden diese wärmer und nicht kühler. Solche wärme-abweisenden Farben können bestenfalls 80 bis 90 Prozent des Sonnenlichts reflektieren, sagt Ruan.

Reflexion der Sonneneinstrahlung und Emission von Infrarotwärmestrahlung

Die neue ultraweiße Farbe - nach Angaben der Forscher ist sie die kühlste von allen - reflektiert fast alle Sonnenstrahlen und sendet Infrarotwärme von der Oberfläche weg; daraus ergibt sich eine durchschnittliche Kühlleistung von 113 Watt pro Quadratmeter. Werden rund 90 m2 eines Hausdachs damit eingestrichen, so bedeutet dies eine Kühlleistung von 10 Kilowatt - dies ist leistungsfähiger als bei einer zentralen Klimaanlage, wie sie in den meisten Häusern verwendet werden, sagt Ruan.

In Untersuchungen, die während der Mittagshitze auf dem Dach eines Campusgebäudes in West Lafayette, Indiana, durchgeführt wurden, hielt der Farbanstrich die Außenflächen um 4,5oC kühler als die Umgebungstemperaturen. Nachts hielt die Farbe die Oberflächen 10,5oC kühler als ihre Umgebung. Abbildung 2.

Abbildung 2.Eine Infrarotkamera zeigt, wie eine Probe der weißesten weißen Farbe die umgebende Fläche abkühlt. Links: die an einer Wand angebrachte Probe. Rechts: mit der Infrarotkamera aufgenommen wird die Farbe dunkler je tiefer die Temperatur ist; die Probe - das dunkellviolette Quadrat in der Mitte - kühlt die Platte tatsächlich unter Umgebungstemperatur ab. Kommerzielle „wärmeabweisende“ Farben können das nicht. (Foto: Purdue University / Joseph Peoples)

„Unsere Farbe kann durch ihre eigene Emission Wärme verlieren - sie gibt Wärme an den Weltraum ab“, sagt Ruan. „Bei so geringer Absorption der Sonneneinstrahlung verliert unsere Farbe mehr an Wärme als sie absorbiert. Das ist für uns tatsächlich überaus aufregend. Bei Sonneneinstrahlung kühlt die beschichtete Oberfläche unter die Umgebungstemperatur ab und das ist schwer zu erreichen."

"Kommerzielle wärmeabweisende weiße Farben werden derzeit üblicherweise aus Titandioxid hergestellt; dieses reflektiert bestimmte Wellenlängen des Sonnenlichts - hauptsächlich das sichtbare Spektrum und Wellenlängen im nahen Infrarot - absorbiert aber die ultravioletten Strahlen des Sonnenlichts, was zur Erwärmung der Oberflächen führt," sagt Ruan.

"Kommerzielle weiße Farben sind kühler als die anderen, dunkleren Farben, aber sie sind immer noch wärmer als die Umgebungstemperatur", sagt Ruan.

Weißer als weiß durch winzige Bariumsulfatpartikel

Diese derzeit erhältlichen Farben sind sicherlich besser als gar nichts. Die Forscher wollten aber mit Materialien experimentieren, welche die UV-Strahlen der Sonne reflektieren aber nicht absorbieren können. In den letzten sieben Jahren haben sie mehr als 100 verschiedene Materialien getestet und schließlich ihre Auswahl auf Bariumsulfat eingeschränkt, eine bekannte UV-reflektierende Verbindung, die bereits in Kosmetika, reflektierendem Fotopapier, Ölfarben, Röntgenuntersuchungen und anderen Anwendungen eingesetzt wird. (In dem Versuchsprotokoll hatten sie zuvor bereitseine ultraweiße Farbe aus Kalziumkarbonat entwickelt, die 95,5 Prozent des Sonnenlichts reflektierte.)

Mit Bariumsulfat war zweifellos ein guter Ansatz gegeben; die Forscher inkludierten zwei neue Aspekte, um die Fähigkeit des Anstrichs zu erhöhen Licht zu reflektieren und Wärme zu emittieren: i) Der Anstrich enthielt eine hohe Konzentration an Bariumsulfatpartikeln - im Vergleich zu den typischen 10 Prozent in derzeitigen Anstrichen enthielt der neue Anstrich 60 % - und ii) die Partikel waren von unterschiedlicher Größe. Abbildung 3.

Abbildung 3.Die ultraweiße Bariumsulfatfarbe besteht zu 60 % aus winzigen 0,27 - 0,53 Mikrometer kleinen Bariumsulfatpartikeln, die einfallendes Sonnenlicht zu 98,1 % reflektieren und zudem Wärmestrahlung (Infrarotwärme) über die Atmosphäre hinaus abgeben. (Bild von Redaktion eingefügt)

„Wenn man unterschiedliche Partikelgrößen in den Anstrich einbringt, so kann - wie wir festgestellt haben, - jede Partikelgröße unterschiedliche Wellenlängen streuen und reflektieren. Insgesamt spiegeln sie das gesamte Wellenlängenspektrum des Sonnenlichts wider“, sagt Ruan.

Reduzierung urbaner Hitzeinseln

Die ultraweiße Farbe bietet zwei mögliche Vorteile. Indem Oberflächen kühl gehalten werden und der Einsatz von Klimaanlagen, die normalerweise mit Strom (u.a. aus nicht-erneuerbaren Quellen; Anm. Redn) betrieben werden, reduziert wird, kann die Farbe dazu beitragen, die Verbrennung fossiler Brennstoffe zu verringern. Darüber hinaus arbeiten Klimaanlagen in der Regel so, dass sie Wärme aus Innenräumen abführen und nach draußen leiten, ein Vorgang, der als Konvektion bezeichnet wird. Diese Wärmeübertragung kann zusammen mit anderen Ursachen zu urbanen Hitzeinseln beitragen, einem Phänomen, das auftritt, wenn Städte heißer als die umliegenden Gebiete werden und daher noch mehr Klimaanlagen erfordern. Die ultraweiße Farbe hingegen verwendet Strahlung, um Wärme wegzuleiten, elektromagnetische Wellen, die durch die Atmosphäre hindurch in den Weltraum gelangen können.

"Klimaanlagen können Ihr Haus kühlen, aber sie leiten die Wärme bloß von innen nach außen - die Wärme bleibt immer noch in der Stadt, immer noch auf der Erde, immer noch in unserer Luft", sagt Ruan. "Auch wenn ihnen die dafür zu bezahlenden Stromrechnungen egal sein mögen, es wird dennoch dadurch die Erde aufgewärmt. Unsere Farbe verbraucht keine Energie, aber was noch wichtiger ist, sie leitet die Wärme in den Weltraum. Die Hitze bleibt nicht auf der Erde, so dass damit ein Beitrag geleistet wird, um die Erde abzukühlen und den Erwärmungstrend zu stoppen".

Mithilfe statistischer Modelle haben die Forscher abgeschätzt, dass ihre ultraweiße Farbe den Bedarf an Klimaanlagen in heißen Städten wie Reno, Nevada und Phoenix, Arizona, um bis zu 70 Prozent reduzieren könnte. Ein ganz extremes Modell zeigt auf, dass eine Beschichtung von 0,5 bis 1 Prozent der Erdoberfläche - Gebäude, Straßen, ungenutztes Land, fast alles - mit der ultraweißen Farbe ausreichen würde, um den globalen Erwärmungstrend zu stoppen.

"Es ist sehr viel Fläche, aber sollten wir eines Tages diesen Ansatz nutzen müssen, um den Erwärmungstrend umzukehren, ist er immer noch erschwinglich - die Farbe ist nicht teuer", sagt Ruan.

Wie geht es weiter?

Die Forscher haben ein Patent angemeldet und führen nun weitere Untersuchungen durch, um die Langzeitbeständigkeit und Sicherheit der Farbe im Freien zu ermitteln sie wollen ja die Farbe den Verbrauchern zur Verfügung zu stellen. Derzeit haben sie noch keinen genauen Preis für die Farbe festgelegt, aber Ruan geht davon aus, dass die Farbe einen ähnlichen Preis wie die derzeit auf dem Markt befindlichen Farben haben wird - ungefähr 30 bis 40 US-Dollar pro Gallone (rund 3,8 l).

Welche zukünftigen Auswirkungen diese Erfindung haben kann, ist für Experten des nachhaltigen Bauens leicht auszumalen.

"Als ich zum ersten Mal davon hörte, dachte ich mir 'Wow, dies könnte sich für die unterschiedlichsten urbanen Bedingungen in den USA und auch international nutzen lassen' ", sagt Elizabeth Thompson, Vizepräsidentin des US-amerikanischen Green Building Council. „Es bietet so große und überzeugende Möglichkeiten. Es wird wunderbar sein die Entwicklung zu verfolgen und zu sehen wie die Forscher die Anwendungen erarbeiten können."

Das US-amerikanische Green Building Council , eine gemeinnützige Organisation, die das LEED-Bewertungssystem (Leadership in Energy and Environmental Design) für nachhaltige Gebäude entwickelt hat, bietet einen Wärmeinsel-Reduzierungs-Bonus für Gebäude an, die auf LEED-Zertifizierungsstufen hinarbeiten.

Eine Möglichkeit, wie Gebäude diesen Bonus erhalten können, besteht darin, Materialien oder Geräte mit einem anfänglichen Sonnenreflexionsgrad von 33 Prozent bei der Installation oder von 28 Prozent über drei Jahre zu verwenden, sagt Thompson. Mit einer Sonnenreflexion von 98,1 Prozent übertrifft die ultraweiße Farbe diese Anforderungen bei weitem.

"Dies ist eine ganz andere Dimension des Kühlens und sehr aufregend", sagt Thompson. "Dies stimmt zuversichtlich. Es ist genau das, was wir alle von Wissenschaftlern und Forschern erhoffen: dass sie uns helfen neue Möglichkeiten für ein nachhaltigeres Leben zu entdecken".


  [1] Xiangyu Li, Joseph Peoples, Peiyan Yao, Xiulin Ruan, Ultrawhite BaSO4 Paints and Films for Remarkable Daytime Subambient Radiative Cooling. ACS Appl. Mater. Interfaces 2021. https://doi.org/10.1021/acsami.1c02368


*Der vorliegende Artikel von Sarah Kuta ist unter dem Titel "This Ultra-White Paint May Someday Replace Air Conditioning" am 21. April 2021 im Smithsonian Magazin erschienen. https://www.smithsonianmag.com/innovation/ultra-white-paint-may-someday-replace-air-conditioning-180977560/. Der Artikel wurde von der Redaktion möglichst wortgetreu übersetzt und durch mehrere Untertitel und eine zusätzliche Abbildung (Abbildung 3) ergänzt.


Links

Prof. Xiun Ruan, homepage: https://www.purdue.edu/discoverypark/birck/directory/profile.php?resource_id=29343

US-Green Building Council: https://www.usgbc.org/

Anton Falkeis & Cornelia Falkeis-Senn, 30.01.2020: Nachhaltige Architektur im Klimawandel - das "Active Energy Building