Herausforderungen für die Wissenschaftsdiplomatie

Do, 26.07.2018 - 13:35 — IIASA IIASAIcon Politik & Gesellschaft

Das Internationale Institut für angewandte Systemanalyse - IIASA - (in Laxenburg bei Wien) stellt in dem halbjährlich erscheinenden Magazin "Options" seine neuesten Forschungsergebnisse in einer für Laien leicht verständlichen Form vor. In der Sommerausgabe 2018 spricht Sir Peter Gluckman* - wissenschaftlicher Berater des Premierministers von Neuseeland und Distinguished Visiting Fellow des IIASA - über eine neue Form der Diplomatie: Unter Nutzung von (Natur)Wissenschaft und Technologie sollen nationale und internationale diplomatische Ziele vorangebracht, vertiefte Kooperationen eingegangen und gemeinsame Strategien zur Bewältigung internationaler/globaler Herausforderungen entwickelt werden[1].*

Was ist Wissenschaftsdiplomatie?

Wissenschaftsdiplomatie und internationale Wissenschaftskooperation sind Bereiche, die überlappen, jedoch nicht unbedingt die gleichen Ziele haben. Wissenschaftliche Joint Ventures - wie beispielsweise das IIASA- produzieren wichtige Erkenntnisse und überschneiden sich teilweise mit der Welt der internationalen Diplomatie. Während es das Ziel der internationalen Wissenschaft ist Wissen zu produzieren, geht es in der Wissenschaftsdiplomatie eher darum, wie Länder die Wissenschaft nutzen, um ihre Interessen voran zu bringen - Diplomatie dient ja schließlich dazu die nationalen Interessen eines Landes auf der internationalen Bühne durchzusetzen. Abbildung 1.

Abbildung 1. Wozu Wissenschaftsdiplomatie? P.Gluckman nennt in [2] drei Kategorien der Motivation.(Bild und Text von der Redaktion eingefügt.)

Diese nationalen Interessen können auf verschiedenen Ebenen mit Hilfe von (Natur)Wissenschaft gefördert werden. Die direkteste Ebene: Wissenschaft hilft einem Land Einfluss zu gewinnen oder Brücken zu einem Land zu bauen, an dem es Interesse hat. Wissenschaft kann ein Land beispielsweise nutzen, um seine Sicherheits- oder Handelsinteressen voranzutreiben oder um Zugang zu benötigten Technologien zu erhalten. Wissenschaft kann zu besserem Management von gemeinsam mit einem andern Land genutzten Ressourcen verhelfen, wie etwa in Fragen von grenzüberschreitender Wasserbewirtschaftung. Wissenschaft spielt auch dort eine Rolle, wo globales Interesse auf dem Spiel steht, etwa beim Klimawandel oder bei der Verschmutzung der Meere.

Jedes Land, ob Industrie- oder Entwicklungsland, steht in Beziehungen zu anderen Ländern und diese Beziehungen weisen in zunehmendem Maße technologische und naturwissenschaftliche Elemente auf. Geht es um die wichtigsten globalen Interessen, so ist zur Erreichung jedes der Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals) Wissenschaft unabdingbar (Abbildung 2).

Abbildung 2. Die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung sind politische Ziele der Vereinten Nationen, die mit 1.1.2016 in Kraft getreten sind und bis 2030 laufen. (Natur)wissenschaft und Technologien sind zur Erreichung dieser Ziele unabdingbar (Bild: WP:NFCC#7 Wikipedia, deutsche Version: © Bundeskanzleramt Österreich; Bild von der Redaktion eingefügt.)

Einbindung von Wissenschaftsberatung

Angesichts der zentralen Bedeutung, die Wissenschaft für die Bewältigung internationaler Herausforderungen hat, ist es überraschend, dass wir keine besseres Vorgehen haben, um Wissenschaft in die internationale Diplomatie einzubinden. Nur wenige Außenministerien verfügen über wissenschaftliche Berater. Die Vereinten Nationen haben kein durchgängiges System, um wissenschaftlichen Rat in ihre Entscheidungen einzubeziehen. Im Allgemeinen werden politische Entscheidungen von den einzelnen Ländern getroffen und nicht von internationalen Organisationen - es bedarf somit einer stärkeren vertikalen Integration zwischen internationalen Organisationen und inländischen Systemen der Wissenschaftsberatung. Dies kann vielleicht am besten durch Wissenschaftsberater erreicht werden, die in ihren diplomatischen Dienst eingebunden sind. Auch heute noch müssen Länder oft davon überzeugt werden, dass es in ihrem nationalen Interesse liegt, zusammenzuarbeiten und Wissenschaft für den globalen Fortschritt zu nutzen.

Wenn wir die Ziele für nachhaltige Entwicklung (Abbildung 2)erreichen wollen, müssen wir viel intensiver darüber nachdenken, wie wir wissenschaftliche Erkenntnisse, Entscheidungsfindung, Völkergemeinschaft, UN-Organisationen und Innenpolitik miteinander in Verbindung bringen.

Als Erstes müssen Vereinte Nationen und internationale Organisationen ihre wissenschaftlichen Beratungsnetzwerke besser einbinden. Während wir über die Ziele nachdenken und die Wissenslücken, die noch zu füllen sind, müssen wir uns auch ein Wissenschaftssystem überlegen, das derartige Bestrebungen unterstützen wird. Das System der Vereinten Nationen verfügt derzeit über kein aufeinander abgestimmtes Wissenschaftssystem. Ein solches wird dringend benötigt und muss über das stark abgeschottete System der UN-Organisationen nach außen dringen.

Zum Zweiten müssen Außenministerien die Wissenschaft besser in ihr Vorgehen einbinden. In einer Reihe von Ländern geschieht das bereits. Wir sehen das an Hand zweier Organisationen (in denen ich den Vorsitz innehabe): dem Internationalen Netzwerk für Regierungsberater (International Network for Government Science Advice - INGSA) und dem Wissenschafts - und Technologieratgeber-Netzwerk der Außenminister (Foreign Ministers’ Science and Technology Advisors Network). Beide Organisationen kooperieren und verknüpfen und forcieren die Berufe der Wissenschaftsberatung und Wissenschaftsdiplomatie. Das Netzwerk der Außenminister hat sich dabei stark ausgedehnt: von vier Ländern beim Start vor zwei Jahren auf aktuell über 25 Länder. Was wir dabei beobachten, ist, dass sich eine wachsende Zahl von Ländern dafür interessiert Teil eines Forums zu sein, in dem Themen von hoch engagierten Personen diskutiert werden können.

Letztendlich wird der Erfolg dieser Bestrebungen auf Vorteilen beruhen, die sie nachweislich den Ländern bringen. Wenn ein Land sieht, wie andere Länder davon profitieren, dass sie die Instrumente der Wissenschaftsdiplomatie besser oder effizienter handhaben, wird es das ernst nehmen.


Anm. d. Redaktion

Wissenschaftsberatung hat bereits in der Antike zu Erfolgen geführt. Abbildung 3.

Abbildung 3. Der Naturphilosoph und Wissenschaftstheoretiker Aristoteles als Berater von Alexander dem Großen. Stich von Charles Laplante, Paris 1866; das Bild ist gemeinfrei. (Bild und Text von der Redaktion eingefügt.)


*Sir Peter Gluckman (*1949, Auckland, Neuseeland) hat an der Universität Otago Pädiatrie und Endokrinologie studiert, graduierte zum MMedSc und zum Doktor der Naturwissenschaften. Er ist Professor für Pädiatrie und perinatale Biologie an der Universität Auckland und war dort u.a. Dekan der medizinische Fakultät und Gründungsdirektor des Liggins Institut, eines der weltweit führenden translationalen Forschungseinrichtungen, die Grundlagenforschung in Therapien überführen.

2009 wurde er zum ersten wissenschaftlicher Berater des Premierministers von Neuseeland ernannt , 2014 wurde er Mitvorsitzender der WHO-Kommission zu Ending Childhood Obesity (ECHO). Im selben Jahr kam es zur Gründung des International Network for Government Science Advice - INGSA, dessen Vorsitz er inne hat. Seitdem hat sich Gluckman zu einem der weltbesten Experten für globale Wissenschaftsberatung und Wissenschaftsdiplomatie profiliert. Im Oktober 2016 hat er am IIASA den ersten globalen Workshop über Wissenschaftsberater in Außenministerien geleitet.


[1] Sir Peter Gluckman: Opinion: Challenges to science diplomacy. Options, Sommer 2018. p.10. http://www.iiasa.ac.at/web/home/resources/publications/options/Challenges_to_science_diplomacy.html

[2] Sir Peter Gluckman (2017), Science diplomacy – looking towards 2030. 45th Anniversary lecture at IIASA. http://www.pmcsa.org.nz/wp-content/uploads/17-11-14-Science-diplomacy-looking-towards-2030.pdf


* *Der von der Redaktion möglichst wortgetreu aus dem Englischen übersetzte, für den Blog adaptierte Text stammt von Sir Peter Gluckman und ist im aktuellen Option Magazin des IIASA zu finden: “Opinion: Challenges to science diplomacy." Options, Sommer 2018. p.10. http://www.iiasa.ac.at/web/home/resources/publications/options/Challenges_to_science_diplomacy.html. IIASA hat freundlicherweise der Veröffentlichung von Inhalten seiner Website und Presseaussendungen in unserem Blog zugestimmt. Der Text wurde von der Redaktion durch passende Abbildungen ergänzt.


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