Pech gehabt - zufällige Mutationen spielen eine Hauptrolle in der Tumorentstehung

Pech gehabt - zufällige Mutationen spielen eine Hauptrolle in der Tumorentstehung

Do, 06.04.2017 - 13:13— Francis Collins

Francis CollinsIcon MedizinKrebserkrankungen werden durch Mutationen der DNA verursacht, welche durch Vererbung, Einflüsse von Umwelt/Lifestyle oder fehlerhaftes Kopieren der DNA während des normalen Vorgangs der Zellteilung hervorgerufen werden. Welchen Anteil diese Ursachen an den DNA-Mutationen in 32 Tumorarten haben, schätzt eine eben erschienene Studie ab: sie kommt zu dem Schluss, dass zwei Drittel der Mutationen zufällig während des Kopiervorgangs passieren, also unvermeidlich sind. Francis Collins, Direktor der US National Institutes of Health (NIH) und ehem. Leiter des "Human Genome Project" berichtet darüber.*

Wenn irgendetwas Böses passiert, so verlangt unsere menschliche Veranlagung nach einem Verursacher zu suchen. Wenn jemand einen Tumor entwickelt, wollen wir den Grund dafür wissen. Möglicherweise liegt ja der Tumor in der Familie. Oder, vielleicht hat der Betroffene geraucht, nie einen Sonnenschutz verwendet , oder viel zu viel Alkohol getrunken. Bis zu einem gewissen Grad sind dies durchaus vernünftige Annahmen, da ja Gene, Lebensstil und Umwelt wichtige Rollen bei Krebserkrankungen spielen. Eine neue Untersuchung behauptet nun, dass die Ursache, warum viele Menschen an Tumoren erkranken, einfach Pech ist.

DNA-Ablesefehler während der Zellteilung

Das Unglück passiert während des normalen Vorgangs der Zellteilung, eines unabdingbaren Prozesses, der unsere Körper wachsen lässt und sie gesund erhält. Jedes Mal, wenn sich eine Zelle teilt, werden die 6 Milliarden Buchstaben ihrer DNA kopiert und die neue Kopie wandert in jede Tochterzelle. Dass während der Duplizierung Schreibfehler entstehen, ist unvermeidlich (Abbildung 1).

Abbildung 1. Beim Kopiervorgang der DNA entstehen zufällige Mutationen.

Die Zelle besitzt nun DNA-Korrekturmechanismen, die Schreibfehler üblicherweise entdecken und ausbessern. Allerdings kann von Zeit zu Zeit ein Fehler durchrutschen. Tritt dieser Fehler dann zufällig in bestimmten Schlüsselbereichen des Genoms auf, so kann er dazu führen, dass die Zelle sich unbegrenzt vermehrt, dass ein Tumor entsteht.

Wie ein Team von NIH-Forschern nun zeigt,

entstehen nahezu zwei Drittel der DNA-Mutationen bei Krebserkrankungen des Menschen auf diese zufällige Art. Damit bekommen Menschen, die wegen vieler Formen von Krebserkrankungen in Behandlung sind, die Bestätigung , dass sie ihre Krankheit vermutlich nicht hätten verhindern können. Diese Ergebnisse enthalten aber auch eine wichtige Mahnung: neben verbesserten Strategien zur Prävention müssen Krebsforscher fortgesetzt innovative Technologien verfolgen, um Tumoren frühzeitig zu entdecken und zu behandeln.

Die erwähnte Untersuchung stammt von Cristian Tomasseti, Lu Li und Bert Vogelstein (John Hopkins Universität, Baltimore, US) und ist im Fachjournal Science erschienen [1]. Die beschriebenen Ergebnisse basieren auf mathematischen Analysen einer Kombination von DNA-Sequenzdaten - aus Tausenden von Tumorproben und normalen Gewebeproben, die im Cancer Genome Atlas niedergelegt sind - und epidemiologischen Informationen von der Cancer Research UK, einer Gesundheitsorganisation in England. Auf Grund dieser Analysen konnten die Forscher den Anteil an DNA-Tippfehlern in 32 Tumorarten abschätzen und zwar danach ob diese der Vererbung , der Umwelt oder zufälligen Fehlern in der Kopierung der DNA zuzuschreiben wären.

Über alle Tumortypen hin gemittelt zeigte das Modell: etwa 66 % der Tumormutationen sind das Ergebnis fehlerhafter DNA-Kopierung. Rund 29 % können auf Umwelteinflüsse, incl. Lifestyle und Verhaltensfaktoren zurückgeführt werden und 5 % auf Vererbung (Abbildung 2).

Abbildung 2. Über alle untersuchten 32 Tumorarten hin gemittelt passieren 2/3 der zu Tumoren führenden DNA-Mutationen durch Zufall während der DNA-Kopierung

Zufall, Umwelt und Vererbung tragen unterschiedlich zu verschiedenen Krebserkrankungen bei

Dabei muss erwähnt werden, dass dieser Verteilungsschlüssel unter den Tumorarten beträchtlich variiert. Beispielsweise hängt die Entstehung von Lungenkrebs stark von Umwelteinflüssen ab, insbesondere vom schädigenden Effekt des Rauchens. Die Forscher schätzen daraus, dass rund 65 % der Lungenkrebs-Mutationen verhindert werden könnten. Dennoch, 35 % der Mutationen entstehen offensichtlich aus Kopierfehlern - damit lässt sich auch erklären, warum auch Menschen Lungenkrebs entwickeln, die niemals geraucht haben.

In anderen Krebsformen - einschließlich der Tumoren von Prostata, Knochen, Gehirn und der meisten Krebserkrankungen in der Kindheit - dürften zufällige Mutationen eine noch viel stärkere Rolle spielen: die Analysen schätzen, dass mehr als 95 % der Krebs-verursachenden Mutationen zufällig entstanden sein dürften (Abbildung 3).

Abbildung 3. Auf welche Weise Mutationen in Treiber-Genen für die Krebsentstehung zustandekommen (Bild wurde von Redaktion eingefügt; Daten sind [1], Table S6 "Proportion of driver gene mutations attributable to E, H, and R" entnommen).

Tumorinzidenzen sind mit der Zahl der Zellteilungen von Stammzellen korreliert

Als weiteren Nachweis für die Bedeutung von zufälligen Kopierfehlern in Tumoren haben die Forscher das Vorkommen - die Fallzahlen - von 17 Tumorarten in 69 Ländern über den ganzen Globus hin untersucht. Basis waren die Daten, die von der International Agency for Research on Cancer in Frankreich erhoben wurden. Die Forscher stellten hier die Frage ob eine unterschiedliche Teilungszahl der Stammzellen die Unterschiede in der Häufigkeit der Tumorvorkommen erklären könnte.

Tatsächlich hatten Tomasetti und Vogelstein ja bereits früher eine enge Korrelation zwischen Tumorinzidenz und Zahl der Stammzellenteilung gefunden und darüber im Jahr 2015 berichtet [2]. Allerdings hatte diese frühere Analyse beträchtliche Kritik erregt - u.a. fehlten ja Daten bezüglich zwei der häufigen Tumoren, Brust- und Prostatakrebs. Darüber hinaus war die Studie auf Einwohner der Vereinigten Staaten beschränkt.

Die neue Studie schließt nun Personen verschiedenster Nationalitäten ein, die für mehr als die halbe Weltbevölkerung repräsentativ sind: sie zeigt, dass in den 17 Arten von Krebserkrankungen - Prostata- und Brustkrebs mit eingeschlossen - tatsächlich eine enge Beziehung zwischen Tumorhäufigkeit und Zellteilungsrate besteht (Abbildung 4).

Abbildung 4. Zwischen dem Risiko während einer Lebenszeit von 80 Jahren an 17 verschiedenen Tumorarten zu erkranken und der Teilungsrate der Stammzellen in den betroffenen Organen besteht eine enge Korrelation. (Bild wurde von Redaktion eingefügt; Daten sind [1], Table 1. "Correlations between the lifetime risk of cancers in 17 tissues and the lifetime number of stem cell divisions in those tissues entnommen")

Fazit

Natürlich sollte keiner der neuen Befunde Menschen davon abhalten gesünderen Lebensgewohnheiten nachzugehen, um das Krebsrisiko zu senken. Wie die neue Studie zeigt, resultiert nahezu ein Drittel aller Krebsmutationen aus Einflüssen der Umwelt und diese können verhindert werden. Da jeder von uns die Perspektive auf unvermeidbare Krebs-erregende Mutationen ins Auge fassen muss, erscheint es angeraten alle zusätzlichen DNA-Mutationen auf ein Minimum zu reduzieren, also nicht zu rauchen, Sonnenschutz anzuwenden, das Körpergewicht zu kontrollieren und andere präventive Maßnahmen zu treffen.

Dennoch - auch Menschen, die alles richtig machen, werden die Diagnose Krebs erhalten. Wenn man den Kampf gegen den Krebs gewinnen will, werden Fortschritte in allen drei Aspekten - Prävention, früher Entdeckung und Behandlung - von zentraler Bedeutung sein.

[1] Stem cell divisions, somatic mutations, cancer etiology, and cancer prevention. Tomasetti C, Li L, Vogelstein B. Science. 2017 Mar 24;355(6331):1330-1334.

[2] Cancer etiology. Variation in cancer risk among tissues can be explained by the number of stem cell divisions. Tomasetti C, Vogelstein B. Science. 2015 Jan 2;347(6217):78-81.


*Dieser Artikel von NIH Director Francis Collins, M.D., Ph.D. erschien unter dem Titel:"Random Mutations Play Major Role in Cancer" zuerst (am 4. April 2017) im NIH Director’s Blog:. https://directorsblog.nih.gov/2017/04/04/random-mutations-play-major-role-in-cancer/#more-8082. Reprinted (and translated by ScienceBlog) with permission from the National Institutes of Health (NIH).


Weiterführende Links

The Cancer Genome Atlas. https://cancergenome.nih.gov/ This website offers free, credible, current, comprehensive information about cancer prevention and screening, diagnosis and treatment, research across the cancer spectrum, clinical trials, and news and links to other NCI websites.

EMBL: https://www.embl.de/leben/werk/

EMBL: Vom Leben lernen.Eigenleben (Krebs)

Jochen Börner: Entstehung von Krebs. Video 4:14min (Standard-YouTube-Lizenz)


Artikel im ScienceBlog:

Gottfried Schatz 22.08.2014: Jenseits der Gene — Wie uns der Informationsreichtum der Erbsubstanz Freiheit schenkt

inge Thu, 06.04.2017 - 13:13